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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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heil und unversehrt bleiben«, sagte ich. »Sie wollen nichts als die Freiheit, Kinder bekommen und sie und ihre Männer behalten zu können. Keine weiteren Opfer an Molekh, kein Opfer als Hal.«
    Ich beobachtete, wie er Blut von seinem Schwert wischte.
    »Isha, Yoav wird Dadua diese Stadt zum Geschenk machen. Er kann dir diese Zusicherungen nicht geben.«
    »Es ist mir gleich, nach welchen Regeln ihr sonst vorgeht. Schwöre, Yoav!«, rief ich wieder. In dem Durchgang sammelten sich immer mehr Zuschauerinnen.
    Zorak, der mit mir durchs Wasser gekommen war, auch wenn ich das nicht gemerkt hatte, rief Yoav zu. »Mit ihr ist nicht zu reden, Yoav. Ich fürchte, wir müssen zustimmen.«
    Abishi sah ihn wutentbrannt an.
    Ich hörte Gemurmel und versuchte mir auszumalen, was jetzt auf der anderen Seite vor sich ging. Plötzlich sah ich Pfeile herabregnen, und gleichzeitig hörte ich die Schreie der ersten Getroffenen. Jebusische Wachsoldaten aus den Türmen reihten sich auf den Wehrgängen auf und zielten in die Stadt hinein. Hastig öffnete ich das Tor, unterstützt von den Frauen und einigen Soldaten.
    Hinter mir hörte ich Schlachtenlärm, Geschrei und Gestöhne.
    Wir hoben den Riegel an und zogen das Tor auf, während die Soldaten auf der anderen Seite schoben. »Schwör es, Yoav«, brüllte ich in die Männer hinein.
    »Schwöre, schwöre, schwöre!«
    Er packte mich am Oberarm und starrte mir mit glasgrünen Augen ins Gesicht. »Verflucht seist du, ich schwöre.«
    »Bei -«
    »Ken! Ken! Beim Namen des Allmächtigen!« Dann schubste er mich beiseite und kämpfte sich durch die Menge.
    Kein Film hatte mich darauf vorbereitet, tatsächlich in eine Schlacht verwickelt zu sein und zu beobachten, wie Menschen ihre Schwerter schwangen, um andere damit zu töten. Hier gab es keine Choreografie, kein geschmackvoll hindekoriertes Blut. Die Geräusche waren grässlich: das Schmatzen einer herausgezogenen Klinge, der dumpfe Aufprall der Leiber auf dem Dreck und den Steinen der Straße. Versteckt im dunkler werdenden Schatten des Torbogens sah ich zu, wie die Soldaten die Männer der Jebusi zurückdrängten, bis sie von der Mauer purzelten und vor uns auf den Boden klatschten.
    Und die ganze Zeit über hörte ich bei jedem Blutstropfen meine Stimme im Kopf: Das warst du. Nur deinetwegen, Chloe Bennett Kingsley, geschieht all das. Hatte ich die Geschichte total durcheinander gebracht?
    Verflucht spät, sich deswegen den Kopf zu zerbrechen, Isha, erwiderte ich mir selbst sarkastisch. Doch dann wurde mir alles zu viel, der Anblick, der Lärm, der Gestank. Benommen und mit Schuldgefühlen beladen übergab ich mich auf den Boden.
    Die Kämpfe verlagerten sich vom Tor weg und weiter in die Stadt hinein. Die Frauen verschwanden in ihre Häuser wie ein Schwarm Spatzen in den Himmel. Ich blieb zusammengekauert im Dunkel sitzen.
    Irgendwann in den düstersten Minuten vor der Morgendämmerung hallte der unirdische Ruf eines Widderhorns über die
    Stadt und durch das Tal. Das Signal verriet mir, dass Abishi und Yoav die Zitadelle eingenommen hatten. Der Shofar war erklungen. Jebus war eine offene Stadt.
    War ich eine Verräterin? Oder nur eine Frau, die mit dem Rücken an der Wand stand? Die Frauen hatten mich darum gebeten, sie hatten ihre Männer geopfert. Oder legte ich mir das nur zurecht, weil es »sie oder ich« geheißen hatte und weil ich wusste, dass Jerusalem letzten Endes Dadua sowieso zufallen würde? War es wirklich so gewesen?
    Hatte ich den Platz eines anderen Menschen in der Geschichte eingenommen? Hatte ich die gesamte Menschheitsgeschichte durcheinander gewirbelt?
    Oder bestand die Menschheitsgeschichte, so wie Cheftu es sagte, nur aus Menschen, die sich Tag für Tag durchwursteln, und erst der zeitliche und räumliche Abstand entschied darüber, welches Ereignis wirklich wichtig war?
    Ich wusste es nicht und ich konnte nicht mehr denken. Mein Körper war wie betäubt; ich keuchte vor Anstrengung. Mein Niesen wollte kein Ende nehmen, ich hatte überall Wunden und blaue Flecke; ich wollte nur noch heim.
    Doch wohin heim?
    Heim zu Cheftu, ergänzte ich; Ort und Zeit bedeuteten mir dabei nichts.
    Noch während die Morgendämmerung den Stein tönte, schwärmten die Soldaten durch die Stadt. Die Leichen der in der Schlacht gefallenen Männer wurden im Tal ausgelegt.
    In Wolle gehüllt, krampfhaft niesend und mit allmählich ver-schürfenden Schürfwunden verfolgte ich, wie die Männer die Bevölkerung der Stadt

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