Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
wieder geschlossen. Dadua hatte die ihm geschenkte Stadt in Besitz genommen und würde heute Nacht in seinem neuen Palast schlafen. Qiryat Dadua - mir schwirrte der Kopf.
Wenn ich in Ägypten während des Tages durch die Tempel gewandert war, hatte ich geglaubt, die Stimmen der Toten zu hören. Sie erzählten mir ihre Geschichten, sie eröffneten mir, wie schön es damals gewesen war. Mein Pinsel hatte danach gedrängt, sie aufzuzeichnen, doch das hatte meine Fähigkeiten überstiegen.
In Kallistae, inmitten der Wunder des aztlantischen Imperiums, hatte ein fast greifbares Gefühl von Magie in der Luft gelegen. Kein Wunder, dass dort unsere Götter- und Heldensagen ihren Ursprung hatten. Die mystische Stimmung ließ die Hügel selbst höher wirken.
Hier jedoch spürte ich etwas, das ich an keinem anderen Ort empfunden hatte. Heute Nacht, während der Wind durch mein schweißfeuchtes Haar fuhr und die Sterne den Himmel sprenkelten, spürte ich zum ersten Mal Heiligkeit.
Lag es daran, dass die Luft viel klarer war? Oder daran, dass wir so hoch lagen?
Oder daran, dass Jerusalem, unter welchem Namen auch immer, tatsächlich der Fußschemel Gottes war?
VIERTER TEIL
11. KAPITEL
In nicht einmal drei Tagen war der Umzug Daduas, seiner mannigfachen Gemahlinnen und seiner nie still haltenden Kinder in die Stadt vollzogen. Die reisenden Männer trafen zwei Wochen darauf ein, am bislang heißesten Tag des Jahres.
Anfangs sahen wir sie nicht; wir rochen sie nur.
Im ersten Moment glaubte ich mich in die Zeit zurückversetzt, als dies die Stadt Molekhs gewesen war, da verbrennende Leichen und herumgetragene, halb verrottete Ziegen einen ähnlich beißenden, Ekel erregenden Gestank erzeugen, der sich kilometerweit, über die Berge hinweg und durch Stein hindurch ausbreitet.
Wir Frauen saßen gerade unschuldig im Hof, fächelten uns Luft zu, tranken lauwarmen Gurkenjogurt und klatschten. Offenbar hatte haNasi seine Augen auf irgendein junges Ding geworfen. Aber wer war sie?
Eine Sklavin? Die Tochter von irgendwem? Shaday allein wusste, woher plötzlich all die Prinzen mit Töchtern im heiratsfähigen Alter auftauchten. Die enge Stadt hatte sich in eine Edelfrühstückspension für abgewiesene gekrönte Häupter verwandelt. Hatten sie sich draußen in den Hügeln versteckt und nur den Ausgang der Schlacht abgewartet?
Keine zwei Tage nach Daduas Einzug in die Stadt war der erste Wüstenkönig mit seiner verschleierten Tochter, einem einschmeichelnden Lächeln und schwer beladenen Eseln erschienen.
Doch konnte Dadua neben Mik’el, Avgay’el, Hag’it und Ahino’am wirklich noch mehr Gemahlinnen brauchen? Mik’el und Avgay’el weigerten sich, zusammen in einem Raum zu sein; Ahino’am verbot allen anderen, das tiefe Rot zu tragen, das ihre Lieblingsfarbe war; ich war fest davon überzeugt, dass Hag’it bisexuell war, und wenn die Kinder nicht gerade durch den Palast rannten, dann stritten sie miteinander.
Wer also war das junge Geschöpf? Jeder erging sich in Spekulationen.
Um Genaueres zu erfahren, bestach Mik’el die Wachposten vor Daduas Tür, damit sie ihr erzählten, wer dort ein und aus ging; Avgay’el bezahlte die Transuse dafür, dass sie aufpasste, welche Sklavinnen in seinen privaten Gemächern verschwanden und wie lange sie darin blieben: Hag’it steckte der Küchenhilfe etwas zu, damit sie die benutzten Tassen und Teller zählte und kontrollierte, ob Dadua nicht vielleicht für zwei aß; und Ahino’am aß selbst für zwei, da sie immer noch stillte. Da es bis zur Erfindung der Trockenmilch noch einige Zeit hin war, war es ganz normal, drei oder mehr Jahre lang zu stillen.
Es war das Essen zu Yom Rishon, und jede unter Daduas Frauen hatte ihre Spezialität zubereitet. Da wir am Sabbath nicht arbeiten durften, hatten wir bereits am Nachmittag zuvor Kleider ausgewählt oder ausgemustert, Geschmeide getauscht, die Hände mit Henna geschmückt. Ich hatte mich nach der schlichten Arbeit am Mühlstein gesehnt, nach dem Mahlen und Brotbacken. Auch wenn ich keine Sklavin war, so lebte ich doch im Harem, daher hätte es befremdlich gewirkt, wenn ich mich geweigert hätte.
Waqi hatte mich eingeladen, weiter bei ihr zu wohnen, doch Zorak und seine Mutter verbrachten dort Waqis »Trauermonat«, bevor die beiden ihre Verbindung offiziell bekannt geben würden. Ich brauchte sie nur zusammen zu sehen, ihre liebe-vollen Blicke sowie die beiläufigen Berührungen, um auf der Stelle Sehnsucht nach Cheftu zu
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