Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
ein letztes Mal Luft zu holen, ehe ich in dem Teich war.
Mit beinahe berstenden Lungen kam ich an die Wasseroberfläche. Einen Moment lang hielt ich wassertretend inne und las das vereinbarte Signal. Es war immer noch absolut still hier; wir befanden uns noch viele Meter unter der Stadt.
Um mich herum tauchten die Soldaten aus dem Wasser auf, wobei jedes Luftschnappen anzeigte, dass wieder einer zu uns gestoßen war. Ich war verdutzt, wie viel und wie gut ich in der Dunkelheit sehen konnte. Das Seil und der Eimer tanzten auf den Wellen, und das durch die Brunnenöffnung fallende Licht legte ein matt leuchtendes Viereck zwischen uns. Ein winziges Viereck. Wir mussten die Ausweichroute nehmen; diese hier wurde bewacht. Vor unseren Augen wurde der Eimer unter Wasser gesenkt, wobei von oben nur Schatten und Stimmen wahrzunehmen waren.
Möglichst ohne zu plätschern, winkte ich den Männern, mir zu folgen. Wir würden gegen die Strömung zur Quelle schwimmen, da das Wasser von hier aus hügelabwärts floss.
Von hier ab konnte die Sache haarig werden, denn dieser Weg war seit langem nicht mehr benützt worden, hatte Waqi mir erklärt. Während ich unter die Wasseroberfläche tauchte, erfüllte langsam ein vor langer Zeit eingeprägter Satz meinen Geist und beruhigte mich: Die Wasser werden führen, sie werden reinigen, sie werden Erlösung schenken. Die Worte von dem Zeitportal im modernen Ägypten, gerichtet an eine Reisende der dreiundzwanzigsten Macht.
Okay, Chloe. Vergiss das nicht.
Während die Soldaten abwarteten und die Abdeckung des Brunnens im Auge behielten, schwamm ich ans andere Ende des Teiches und tastete in der Steinmauer nach einer Öffnung. Das Wasser lief durch diesen Quellteich und dann durch die Öffnung ab, durch die wir eben heraufgekommen waren. Was bedeutete, dass es von weiter oben kommen musste - es war nur fraglich, wie groß genau der »Wasserhahn« war. Schließlich hatte ich ihn gefunden, einen sechzig auf sechzig Zentimeter großen Kanal in absoluter Schwärze, durch den das Wasser rauschte.
Ich winkte Abishi, mir ein Seil zu reichen, mit dem wir uns alle aneinander banden, ich ganz vorne und er als Letzter. Blind und lahm, echt wahr, dachte ich. Ich schloss die Augen, um ihnen etwas Erholung von dem Wasserdruck zu gönnen, der mir die Augäpfel aus den Höhlen zu spülen drohte.
Mit angehaltenem Atem, während die Wassermassen an unseren Leibern zerrten und auf uns einprügelten, arbeiteten wir uns nach oben. Ich sah schon Punkte hinter den geschlossenen Lidern, und meine Brust brannte und schmerzte unerträglich, als ich plötzlich feststellte, dass der Kanal erheblich breiter wurde. Der Wasserspiegel war gesunken.
Halb schwimmend, halb watend und mit aller Kraft an unserem Seil festgeklammert, kämpften wir gegen die Strömung an. Dann schwammen wir im Hundekraul praktisch senkrecht nach oben, weil der Kanal wieder enger wurde und uns das Wasser bis zum Kinn stand. Über dem Tosen der Strömung hörte ich kaum die Geräusche der Soldaten hinter mir. Dann gingen wir wieder eben dahin, durch hüfthohes Wasser.
Hätte ich mich nicht mit beiden Händen an den Wänden abgestützt, hätte ich die Öffnung übersehen. Ein schmaler Spalt, durch den Luft hereinwehte. Ich hielt an und spürte, wie der nachfolgende Soldat dicht hinter mir stehen blieb. Wenn ich den Kopf zur Seite drehte, konnte ich nach draußen sehen - ins Freie! Wir hatten es fast geschafft!
Aber wie sollten wir aus diesem Kanal und auf die Straße gelangen? Das hatte uns keine der Frauen sagen können.
Da ich keine Alternative sah und da ich wusste, die Jebusi würden mittlerweile festgestellt haben, dass ihre Wachposten verschwunden waren, was bedeutete, dass uns die Zeit knapp wurde, band ich mir die Röcke um die Schenkel hoch und zwängte mich dann durch den Spalt. Ich biss die Zähne zusammen, als der Stein meine Haut aufschürfte. Zum Glück war ich groß und dünn und kam seitlich durch die Lücke. Außerdem konnte ich, falls ich erwischt wurde, wahrscheinlich irgendeinen Vorwand finden, weshalb ich hier war. Ein Mann aus den Stämmen würde augenblicklich entdeckt werden.
Also drückte ich mich durch den ein Meter sechzig hohen spaltartigen Schacht und hielt am anderen Ende kurz inne. Hatte man mich in einen Hinterhalt gelockt? Ich wartete zwei, vielleicht drei Minuten. Niemand kam. Sollte ich dadurch in falscher Sicherheit gewiegt werden?
Nach fünf Minuten zischte ich Abishi zu, weiter gegen die Strömung
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