Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
anzuwaten. Mir drohte keine Gefahr, und ich würde ihn am anderen Ende dieses Kanals erwarten, wo auch immer das sein mochte. Bitte, lieber Gott, lass mich die Quelle finden.
Ich ließ mich, Ausschau haltend und hellhörig, auf alle viere fallen. Ich hörte nichts Ungewöhnliches - noch nicht. Nördlich von mir sah ich ein Haus stehen. Ich wusste, dass der Tunnel im Hof dieses Hauses endete; das hatte man mir erzählt. Bis jetzt hatten alle Angaben gestimmt. Wenn die Königin wie versprochen diesen Trakt hatte räumen lassen, dann war alles in Ordnung.
Andernfalls konnte es böse für mich enden, denn hier war niemand, der mir helfen konnte. Ich war ganz auf mich allein gestellt. O Gott, bitte mach, dass ich nicht erwischt werde.
Ich beobachtete die Hausfront, doch ich konnte keinerlei Wachhunde entdecken, nur einen alten Mann, der auf der Türschwelle schlummerte. Es war die Stunde der im ganzen Mittelmeerraum üblichen Siesta, und die Sonne war so heiß, dass meine Kleider in Windeseile trockneten. Als ich an der Hausfront vorbeilief, um durch die Hintertür hineinzukommen, rührte sich nichts.
Die Hintertür sollte offen sein, nicht wahr?
Ich drückte dagegen, dann nochmals, diesmal fester, bis ich den Gegendruck des Metalls spürte. Die Tür war von innen verriegelt. Verdammt, sie hatte die Türen nicht öffnen können. Ersatzplan? Ich ging langsam weiter und sah zu den Fenstern auf. Sie waren zu weit oben und zu schmal. Und vergittert. Super.
Am helllichten Tag eine Hausmauer zu erklimmen war vielleicht nicht besonders klug, aber ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte. Unter mir warteten die Soldaten; überall in den Häusern dieser Stadt warteten die Frauen. Seufzend wickelte ich das über meiner Schulter hängende Seil ab. Erst beim siebten Versuch schlang es sich um das Holzgitter in einer Fensteröffnung.
Ich biss die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien, als das Seil in meine bereits brennenden Handflächen schnitt -was mich dazu inspirierte, einen Streifen aus meinem Kleid zu reißen und ihn um die Hand zu winden -, dann kletterte ich nach oben und schlüpfte zwischen den Holzstäben hindurch.
Der Boden des Hofes war rund um ein großes Wasserbecken bunt bemalt. Aber jeder Zentimeter der Mauern war mit Schilden bedeckt - atemberaubenden Rüstungen aus Gold und Silber, die mit Halbedelsteinen besetzt waren. Es waren mindestens fünfzig. Ein Wasserfall ergoss sich aus der Hauswand in das Becken. Die Sonne spielte auf der Wasseroberfläche und spiegelte sich dann in den Schilden, wodurch der ganze Hof wirkte wie eine Unterwasserlandschaft. Wie hypnotisiert schaute ich zu, wie das Wasser in den Spiegel des Wasserbek-kens donnerte, ohrenbetäubend laut und die Luft mit kühler Gischt erfüllend. Dann dämmerte es mir: Man hatte das Haus in den Berg hineingebaut!
Mit angehaltenem Atem sprang ich in den Hof hinab, rollte mich ab, stand wieder auf und sah mich um. Und wartete ab. Mir drohte keine Gefahr, da niemand mich hören konnte. Aber würde man mich sehen? Ich blieb stehen. Offenbar hatte die Königin diesen Teil ihres Versprechens eingehalten. Vor dem, was ich für die Lagerräume hielt, sah ich einen Mann dösen. Nirgendwo waren Tiere zu sehen, was für diese Zeit und Weltgegend ausgesprochen ungewöhnlich war. Ein Esel wurde hier besser behandelt oder jedenfalls besser gefüttert und getränkt, als die eigenen Kinder. Vor allem in einer Stadt ohne Kinder, rief ich mir ins Gedächtnis. Ich wartete noch länger.
Nichts.
Nachdem ich das Seil wieder eingerollt hatte, näherte ich mich dem Becken, wobei ich die ganze Zeit über im Schatten blieb.
Ich konnte nicht bis auf den Beckenrand sehen, was gut war, da es keinen Beckengrund geben durfte.
Während ich das Seil um einen Pfeiler knotete, unterdrückte ich ein Niesen, sodass das leise Zischen im Tosen des Wasserfalls unterging. Hoffentlich war das Seil lang genug. Den Flachs in der Hand haltend, atmete ich tief ein, tauchte unter die Wasseroberfläche und tastete erst nach dem Boden und dann nach dem »Abfluss«.
Wie vermutet und wie schon einmal ging es erst nach unten, durch einen schmalen Durchlass und dann ... stürzte ich abwärts, umgeben von lauter Wasser. Im Gegensatz zu meinem letzten Sturz fiel ich diesmal nicht in weiches Wasser. Ich schoss knapp zwei Meter nach unten und landete auf einem Stein, der aus dem Bachbett herausragte. Mein Aufschrei verriet Abishi und seinen Leuten, dass ich eingetroffen war.
Er platschte
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