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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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der Gesänge marschierten wir bergauf, bis wir alle oben auf der Bergkuppe standen.
    Der Wind war stärker und kälter geworden; er peitschte über uns hinweg. In einem wellenförmigen Muster verstummten die Menschen, denn ein Gefühl von Jenseitigkeit überkam uns. Von dieser Anhöhe aus konnte man über alle Hügel rund um Tziyon und über die gesamte Stadt blicken. Wir waren über den Rest der Welt erhöht, wir befanden uns auf der Ebene, die Jerusalem darstellte. Über uns waren nur noch die Sterne.
    »Wir sehen die Welt so, wie Gott sie sieht«, flüsterte Cheftu, kurz bevor wir in Männer, Frauen und Ausländer aufgeteilt wurden.
    Überall um uns herum bedeckten die Frauen ihr Haar. Durch die Menge hindurch sah ich die von tausend Fackeln erhellte Stiftshütte. Die Männer ließen die Frauen und Kinder außerhalb der Stoffmauern zurück und betraten gottgeweihten Boden. Ich drängte durch die Menge nach vorne, näher an die Bespannungen hin, bis ich das eingewebte Muster von Granatäpfeln und geflügelten Löwen erkennen konnte, bis ich das Konzert klingelnder Glöckchen hören konnte. Die Musik der Glöckchen an den Säumen der Priesterroben.
    Es fragte mich niemand, warum ich zu weinen begann. Es war kein trockenes Schluchzen, über mein Gesicht strömten die Tränen. Ich war hier, aus welchem Grund auch immer. Ich durfte all dies beobachten. Hatte ich es mir so ausgesucht? Oder war ich dazu ausgesucht worden? Sollte ich mein Glück preisen? Oder hatte ich Pech gehabt? Was würde noch von mir verlangt werden, oder sollte ich fortan ein ganz gewöhnliches Leben führen? War das Drama meiner Zeitreisen zu Ende? Es war bereits Oktober, und wir hatten immer noch kein neues Portal gefunden. War es uns bestimmt, hier zu bleiben?
    »Wieso immer nur die Männer?«, zischte eine Frau hinter mir.
    »Ach, Dvorka, hör auf zu klagen.«
    »Ich frage ja nur. Immer bekommen die Männer Jahwe zu sehen. Wieso nicht wir? Schließlich lastet auf uns der Fluch des Gebärens!«
    Ganz offenbar gehörten diese Frauen den Stämmen an und waren keine Jebusi, die sich über morgendliche Übelkeit freuten.
    »Psst. Das Gebären ist ein Segen.«
    Dass man sie zum Schweigen bringen wollte, ließ die Frau nur noch lauter werden. Sie schnaubte. »Erzähl das mal meinen Hüften! Seit Yohans Geburt sind sie so breit, dass die eine inzwischen in Y’srael ist und die andere in Yuda!«
    Ich musste mir auf die Zunge beißen, um nicht laut zu lachen.
    »Du nennst das einen Segen? Mein Yuri meint, er kann mich innen nicht mehr spüren! Er behauptet, es würde sich anfühlen, als würde er eine Grotte lieben! Und das nennst du einen Se-gen?«
    »Psst. Ich glaube nicht, dass du im Angesicht Gottes von deinen Ehegeschichten sprechen solltest.«
    »Gott? Wie? Weiß er etwa nicht, was zwischen Mann und Frau passiert? Er weiß das nur zu gut! Er weiß genau, warum Lilith nicht bei Adama blieb.«
    Der Hohe Priester kletterte auf ein Podest, von dem aus die Edelsteine auf seiner Brust in allen Farben über die Männer schillerten. Alle konnten ihn sehen. Sein Auftritt brachte die Frauen hinter mir zum Schweigen; die Autorität seines Amtes ließ jeden verstummen. Ernst und feierlich sprach er seine Gebete. Ich konnte mir vorstellen, dass die Priester ein wenig nervös waren. Im Chor sagten wir: »Sela.«
    »Warum sind also keine Frauen im Zelt?«, zischte die Frau hinter mir. »Können wir etwa weniger gut Gebete nachsprechen als die Männer?«
    »Wir sind nicht dort, denn wer würde sich sonst um die Kinder kümmern?«
    »Und ihre Väter können das nicht?«
    Die andere Frau erwiderte nichts darauf; es kostete mich einige Beherrschung, nicht den Kopf zu drehen, um den Blick zu sehen, mit dem sie ihre Freundin höchstwahrscheinlich bedachte. »B’seder. Das war eine dumme Frage«, gab die Frau zu, die sich so laut beschwert hatte.
    Der Priester sagte etwas, und auf einmal reichten die Menschen Speisen nach vorne durch. Vor uns stieg ein Mann die stufenpyramidenähnliche Treppe hoch, und wir sahen zu, wie er einem Schaf die Kehle durchschnitt. Mir wurde ein bisschen flau im Magen - doch immerhin war es kein lebendes Baby.
    Wir reichten die Opfergaben nach vorne durch: Brotlaibe, Ölflaschen, Weinschläuche, Honigtöpfe.
    »Die Männer könnten das also nicht?«, löcherte die Frau hinter mir ihre Freundin.
    »Du würdest deinem Yuri zutrauen, deine Brote zu backen und dafür zu sorgen, dass sie unbeschadet zum Allmächtigen gelangen?«
    »Er bringt die

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