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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Wochen, und Sukkot, das Laubhüttenfest - das wir zur Zeit begingen. Bei diesen drei Festen sollten die Menschen der Stämme vor Shadays Angesicht stehen.
    Das nächste Gesetz, verkündete N’tan, sei ganz einfach.
    »Koche kein Zicklein in der Milch seiner Mutter.«
    Das war’s. Finito. Dies waren die Gesetze der Stämme. Ein bisschen was über die Feiertage, die Sache mit dem keinen anderen Gott und dem keinen Bildnis von Gott, noch ein paar Merksätze über das Auslösen mit Blut ... und ein Gesetz, dass man kein Zicklein in der Milch seiner Mutter kochen soll. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht laut zu plärren: »Was zum Teufel soll das denn?« Stattdessen sprach ich mit allen anderen zusammen: »Sela.«
    Erst auf dem Heimweg brach es aus mir heraus. »Was ist mit den Zehn Geboten? Ich dachte, die solltest du niederschreiben! Die Gebote, die N’tan da angeführt hat, die er den Stämmen beigebracht hat, sind nicht die, die ich kenne. Was meinst du dazu?«
    »Wenn man die sprachlichen Abweichungen berücksichtigt«, setzte Chef tu an.
    »Lo. Auch mit sprachlichen Abweichungen lässt sich nicht erklären, warum es nicht heißt: >Du sollst nicht begehrenc, >du sollst Vater und Mutter ehren< und >du sollst nicht töten.c«
    Er gab mir einen Kuss auf den Handrücken, doch es war kein erotischer, sondern ein rein nachdenklicher Kuss. »Wir haben das Gebot, keine Götter neben Shaday zu haben.«
    »Ken. Weil man Ihn eifernd nennt, ist Er ein eifernder Gott.«
    »Das Gebot, sich kein Bildnis von Ihm zu machen.«
    »Richtig. Zumal nach der Katastrophe, dass sie nur wenige Monate, nachdem Shaday sie durch das Rote Meer geführt hat, Hathor angebetet hatten.« Wie hatten sie nur an ihm zweifeln können? Das mit dem Roten Meer hatte ich mit eigenen Augen beobachtet, und es hatte mein ganzes Leben verändert.
    Na ja, wenigstens ein bisschen beeinflusst.
    Okay gut, ich war also nicht anders. Auch ich zweifelte immer noch, obwohl ich das mit dem Roten Meer gesehen hatte.
    »Doch statt all der Gesetze über Freunde und Familie, Ehrlichkeit und Gier folgen ein Haufen Vorschriften über Opfer und Feiertage«, beschwerte ich mich.
    »Das Werkzeug, mit dem dieser Glaube am Leben erhalten wird, ist das Gedächtnis«, sagte Chef tu. »Genau wie N’tan erklärt hat. Wenn sie Shaday im Gedächtnis bewahren, und zwar durch all die kleinen Gesten - indem sie ihren Wein und das Brot segnen, ehe sie es verzehren, indem sie sich von fremden Völkern absondern, so wie sie die Aprikosenbäume von den Birnbäumen absondern - dann werden sie Shaday auch in den wichtigen Dingen leichter im Gedächtnis behalten.«
    Wir gingen in unser immer noch ungeschmücktes, so wie fast alles ungeschmückt war, Haus. Cheftu zündete die Lampe an, während ich sofort auf den Balkon trat.
    Ich zweifelte nicht daran, dass er mit seinem Einwand Recht hatte. Doch das beantwortete nicht meine Frage, ob die Zehn Gebote noch fehlten und warum. »Wie konnten die Gebote erst so und später ganz anders sein?« Ich drehte mich um und sah Cheftu an. Er starrte über meine Schulter in eine Ferne, die ihm ganz allein vorbehalten war.
    »Vielleicht ...«, sann er nach, »vielleicht war es ja umgekehrt.«
    Ich sah ihn abwartend an. Seine Augen waren mit Bleiglanz umschminkt, und in seinen Ohrringen blitzte das Licht der Lampe auf. Wie konnte es umgekehrt gewesen sein?
    Schließlich sprachen wir hier über die Zehn Gebote.
    »Diese Gesetze machten aus einem Haufen von Sklaven eine organisierte Armee«, meinte er gedehnt.
    »Ken?«
    »Vielleicht waren sie die allerersten Gesetze, der erste Versuch einer Organisation.«
    Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach. Meine Miene musste das verraten haben.
    »Als sie aus Ägypten kamen, hatten sie jahrhundertelang als Diener gelebt. Und was tut ein Diener?«
    »Dienen?«, meinte ich ironisch.
    Cheftu zog eine Braue hoch.
    »B’seder. Sie bedienen, sie schuften, sie -«
    »Aber sie fällen keine Entscheidungen«, sagte er.
    Ich verstummte. Ein Sklave hat keine Gelegenheit, selbstständig zu denken. Wir hatten nur ein paar Monate lang als Sklaven gelebt. Man hatte uns zu essen, etwas anzuziehen und ein Obdach gegeben und uns gesagt, wann wir wo zu sein hatten. Nach ein paar hundert Jahren hatte ein Volk bestimmt vergessen, wie man Entscheidungen fällt und ausführt. Nicht weil die Menschen zu dumm waren, sondern weil man ihnen diese Fähigkeit ausgeprügelt hatte. Die Apiru hatten also immer jemanden gehabt, der ihnen sagte,

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