Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
Welle nach der anderen durch ihren Körper laufen.
Sie war zwar noch ein Kind, doch ihre Hüften verstanden bereits zu verführen.
Ich war nicht die Einzige, der das auffiel; nur ‘Sheva selbst ahnte noch nichts von ihrer Gabe, ihrem Talent, der Macht, die sie eines Tages durch ihre Tanzkunst über die Männer ausüben würde.
Als ich später zuschaute, wie das Wasser vom Säulengang weg durch den Hof abfloss, und zugleich Getreide nachschüttete, das ‘ Sheva mahlte, gestand sie mir, dass sie für ihr Leben gern im Regen tanzte. »Immer wenn es regnet, könnte man glauben, der Allmächtige schickt winzige Fußspuren der Freude zur Erde.«
Ich verkniff mir das Lachen - »Fußspuren der Freude«? -, denn es war ihr ernst damit. Sie sah wirklich glücklich aus.
»Manchmal tanze ich sogar beim Baden, dann gieße ich mir Wasser über den Kopf und tue so, als sei es Regen.«
Ich nickte bedächtig und schüttete langsam neues Getreide in den Mahlstein.
Cheftu spülte seine Pinsel aus und ließ sich noch einmal den vergangenen Tag und die vergangene Nacht durch den Kopf gehen. Plötzlich hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Langsam drehte er sich um, doch ohne sich seine Angst und seine Beklemmung anmerken zu lassen.
»Sei gegrüßt, Schreiber«, sagte der gegenwärtige Zakar Ba’al von Tsor; das ehemalige aztlantische Sippenoberhaupt; der einzige Mann, der jemals versucht hatte, Cheftu zu verführen, der aus diesem Grund Chloe zu töten versucht hatte und der auf Grund seiner Liebe Cheftus Leben für alle Zeiten verändert hatte.
»Dion.«
»Tausend Jahre sind inzwischen vergangen. Und du kannst mir noch immer nicht verzeihen?«
Tausend Jahre? Cheftu gab sich alle Mühe, sich sein Entsetzen nicht anmerken zu lassen. Das Elixier wirkte also? Welche Fragen konnte er stellen, und welche würden ihn verraten?
»Nichts zu sagen?«
Cheftu fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen. »Was willst du? Weshalb bist du hier?«
Dion lächelte. »Ich baue. Damit beschäftige ich mich, damit beschäftigt sich mein Volk.«
»Die Überlebenden von Aztlan?«
»Ken, wenn auch nicht von jenem Ausbruch, an den du dich erinnerst. Es gab später einen zweiten, vielleicht« - er dachte kurz nach - »vor vierhundert Jahren? Nun ist, so traurig es ist, nichts mehr übrig als ein qualmender, sichelförmiger Rest.«
Mon Dieu! Das musste der Ausbruch während der Zeit des Exodus gewesen sein! Die Hofmagier hatten Recht gehabt.
»Es erstaunt mich, dass unsere Wege sich nicht schon früher gekreuzt haben. Wo warst du?«
Cheftu hatte die vergangenen tausend Jahre nicht in Jahren durchmessen, er war in einem Augenzwinkern durch sie hindurchgeschlüpft. Doch wenn er Dion von den Zeitreisen erzählte, von den Portalen und den Steinen, würde er einen Mann in Versuchung führen, der ihr noch jedes Mal erlegen war. »Ich war hier und da«, antwortete er ausweichend.
»So wie ich. Nur wenige Menschen genießen das Leben so wie wir, Cheftu.« Dions Blick drang in sein Innerstes. »Ich war überzeugt, dass du gestorben warst, obwohl keine weise Frau je in der Lage gewesen war, deinen Schatten anzurufen.
Andererseits war es ausgeschlossen, dass jemand so vollkommen verschwindet. Nicht einmal ein Gerücht über dich ist mir zu Ohren gekommen.« Er zog die Stirn in Falten und nahm einen von Cheftus Federkielen. »Und doch bist du hier aufgetaucht, du musst also irgendwo gesteckt haben. Man kann schließlich nicht einfach in der Geschichte untertauchen und wieder auftauchen, oder?«
Genau das kann man, dachte Cheftu. Ganz genau. »Was soll diese Verkleidung?«, fragte er.
Dion zuckte mit den Achseln. »Hiram der König könnte nicht das einfache Leben eines Arbeiters genießen.«
»Und was soll das Altern?«
Dion reckte sich und offenbarte dabei den Körper eines Mannes in den besten Jahren: mit breiten Schultern, schmaler
Taille und festen Beinen. »Hiram der Baumeister lebt nun schon viele Jahre. Ewige Jugend, das habe ich inzwischen gelernt, ruft zwei Arten von Reaktion hervor. Entweder die Menschen weichen ängstlich vor dem Unbekannten zurück oder sie begehren es so sehr, dass sie dafür töten würden.«
»Diese Erfahrung hast du gemacht?«
Dion nickte und sah Cheftu aus zusammengekniffenen Augen an. »Du sprichst, als hättest du anders gelebt. Was für Geheimnisse bewahrst du in deiner Brust?«
Cheftu musste alle Kraft aufbringen, um nicht wegzuschauen. »Nicht mehr als du, Dion.«
Der Dunkle beugte sich vor
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