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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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hatte gar nicht gewusst, dass Krokodile Salzwasser mochten. Oder war dies ein Süßwasserteich? Wozu waren sie hier?
    Wozu war ich hier?
    Ich wischte mir den Angstschweiß von der Stirn. Die Menge begann einen Namen zu skandieren: »HaDerkato! HaDerkato!« Tamera hatte mich haDerkato genannt, doch was hatte das zu bedeuten? Hätte ich vielleicht danach fragen sollen? Konnte mir das Lexikon Auskunft geben?
    Wir näherten uns einem überdachten Sessel auf einem Plateau oberhalb des Felsens. Überall schwärmten Frauen in Fischgewändern herum. Das Ritual am Meeresrand; ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass ich dabei die Hauptrolle spielen würde. Vor Nervosität blieb mir fast die Luft weg. Was hatte das alles zu bedeuten? Hallo, Lexikon?
    Allmählich wurde die Zeit knapp.
    Die Bilder kamen prompt, eine Montage von Videos, Zeichentrick und Kunstwerken aus meinem früheren Leben. Ein Mädchen, eine Magd Dagons, wird aus dem Meer gestohlen. Nachdem man Dagon mitgeteilt hat, dass sie weg ist, wird sie ihm wieder dargeboten. Auf ziemlich endgültige Weise.
    Falls sie überlebt, nimmt man an, sie sei Dagons Geliebte, die ihre Ernten wiederherstellen kann. Dann lebt die Magd das ganze Jahr hindurch bei dem Volk, damit den Menschen Dagons Gunst gesichert bleibt. Falls sie nicht überlebt, wird sie vom heiligen Fisch, dem Krokodil, verschlungen und auf diese Weise an Dagon zurückgegeben.
    Falls sie was nicht überlebt?, fragte ich nervös.
    Den Seiltanz.
    War das der dunkle Strich, den ich da sah? Ein Seil, das zwischen den beiden Felsen gespannt war? Wie kam ich nur aus dieser Sache raus? Sie erwarteten doch hoffentlich nicht, dass ich über dieses Seil spazierte? Ich sollte einen Seiltanz aufführen? Dass man im Altertum Seiltänze kannte, war mir vollkommen neu.
    Wir waren angekommen, unser Karren parkte inmitten einer massiven Menschenmauer. Meine einzige Hoffnung war eine unverhoffte Rettung durch einen Hubschrauber. El’i half mir aus dem Karren und dann die durchgetretene Steintreppe hinauf. Hilfe!, brüllte ich lautlos. Cheftu, wenn du irgendwo in der Nähe bist, jetzt ist es höchste Zeit.
    Der Pausenknopf meines Lexikons löste sich. Da kam noch mehr? Die Worte schoben sich über die Leinwand in meinem Kopf wie im Vorspann vom Krieg der Sterne.
    Während der roten Flut gibt es eine Einschränkung gegenüber der üblichen Vorgehensweise.
    Wobei die so genannte übliche Vorgehensweise darin bestand, dass eine Frau sich zu Tode stürzte und von Krokodilen aufgefressen wurde?
    Ich war oben auf dem Felsen angekommen. Hunderte bevölkerten den Strand mit erhobenen Fackeln, alle Blicke waren auf mich gerichtet. Von meinem Standort bis zu dem Felsen im Hafenbecken waren es etwa zwanzig Meter Luftlinie, etwa fünf Meter oberhalb einer Krokodilgrube. Was sollte das - spielte ich hier live in einem Videospiel mit?
    Etwa sieben Meter zu meiner Linken konnte ich auf Bodenhöhe einen Tümpel erkennen. Wie tief er war, konnte ich nicht einmal vermuten, doch er war einigermaßen groß. Der Wind blies mit aller Kraft und peitschte mir das Haar ins Gesicht. Wir lauschten gerade dem zirka neunhundertsten Dagon-Vers.
    Ganz im Ernst, meine Alternativen waren recht beschränkt. Ich konnte unmöglich zwanzig Meter über ein Seil balancieren. Also würde ich als Krokodilköder enden? Ich sah wieder zu dem Teich hinüber, offenbar eine Art heiliger See innerhalb des Tempelbezirks. Konnte ich es bis dorthin schaffen, ohne mich dabei umzubringen? Und wie würde ich von hier, von diesem dämlichen Seil aus, dorthin gelangen? Wäre ein Sprung tödlich? Gott, womit hatte ich das nur verdient?
    Das Lied endete. Tamera trat vor und bewegte den Mund, doch ihre Worte wurden vom Wind fortgerissen. Sie kniete vor mir nieder und deutete auf die Plattform. Sie war weniger als zwanzig Zentimeter tief und ungefähr dreißig breit. Wie viele Dagon-Bräute waren schon auf diese Weise gestorben?
    Unten wurden die Fackeln gelöscht.
    Tameras Hand auf meiner Schulter machte mir noch mehr Angst. »Warte, haDerkato. Erst muss die Geschichte erzählt werden.«
    »Lasst euch Zeit«, erwiderte ich. Es war mir doch wohl nicht bestimmt, in einer lahmen Vorform von Zirkusshow zu sterben? War Cheftu hier, in der Menge, und schaute zu?
    Würde er mich dadurch erkennen? Meine Handflächen waren schweißglitschig. Tamera stieg vor mir ein paar Stufen hinauf und begann die Geschichte vorzusingen. Es war eine bezaubernd lyrische, sirenenhafte Melodie.
    Irgendwie würde

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