Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
könnte dich in eine Schnecke verwandeln!« Nur in eine Schnecke? Tamera traute mir offenbar nicht allzu viel zu. »Verschwinde, ehe sie es sich anders überlegt.« Damit schob Tamera ihn hinaus.
In der Tür blieb El’i stehen. »Ich warte draußen auf dich, Meeresherrin. Vergib mir mein schlechtes Benehmen.« Darin deutete sich bereits der Mann an, zu dem er heranwachsen würde: kompetent, ernsthaft, respektvoll. Bevor ich auch nur mit einem gnädigen Queen-Elizabeth-Winken reagieren konnte, knallte Tamera ihm die Tür vor der Nase zu.
Sie zeterte und ereiferte sich über El’i, bis ich fertig angezogen war. Mein Kleid war blau und hatte eine Schärpe in verschiedenen Grüntönen, Blau und Silber. Dazu trug ich meinen
Neonschmuck, den ich in kaltes Wasser getunkt hatte, um ihm neues Leben einzuhauchen, zusätzlich hatte sie mir ein silbernes Band ins Haar gesteckt. Ich blickte auf die Sandalen, die ich mitgebracht hatte. Sie waren sexy, kess und kosteten wahrscheinlich mindestens ein Monatsgehalt.
Noch ein Grund, RaEm zu erwürgen. Was hatte sie in dieser Nacht da draußen gesucht? Laut Cammy war RaEm während einer äußerst lockeren Ramadanparty, auf der sie ihren Geburtstag gefeiert hatte, plötzlich spazieren gegangen. War sie nur zufällig über das Portal gestolpert? Und was war aus Phaemon geworden?
Ich schlüpfte in die Sandalen und wuchs auf den Schlag um acht Zentimeter. Mimi hatte mir mal erklärt, dass Männer auf hohe Absätze stehen, weil sie glauben, wir könnten darin nicht weglaufen. Als ich wie auf Stelzen die ersten Schritte wagte, begriff ich, dass sie damit vielleicht gar nicht so falsch lag.
Als Erstes strich Tamera Farbe auf meine Lider, dann dekorierte sie mein ganzes Gesicht mit farbigen Kringeln und Schleifen auf Schläfen und Stirn, Wangen und Kinn. Ich würde mir das Gesicht waschen müssen, ehe ich versuchte, in der Menge unterzutauchen. Schließlich umringte sie auf meinen Wunsch hin meine Augen mit Bleiglanz.
Nachdem sie mich mit Zimt- und Minzdüften überschüttet hatte, rief Tamera nach El’i. In den kurzen Sekunden, während sie mir den Rücken zuwandte, schnappte ich mir mein kleines Überlebenspäckchen. Nach einem Nicken zu Dagon hin wurde ich von El’i aus dem Tempel eskortiert.
Auch wenn das Gebäude ausgesprochen praktisch aussah, war es von keiner Künstlerrasse errichtet worden. Sondern von Handwerkern, die nach einem Minimum an Aufwand strebten.
Malereien gab es nur wenige; Vergoldungen oder Edelsteine überhaupt nicht. Weiß gekalkte Lehmziegelwände und Steinpfeiler stützten ein Dach aus Stroh und Holzträgern. Schlichte Räucherschalen aus Messing wurden von ein paar Menschen mit Fischkopfmasken betreut. Der Tempel erfüllte seinen Zweck, doch er war kaum majestätisch zu nennen.
Ich trat in die kurze Mittelmeerdämmerung und kletterte in einen Ochsenkarren. El’i führte die Tiere, deren Hörner mit Muscheln und Glocken geschmückt waren. Sie gingen in schwerem, langsamem Schritt und ließen mir dadurch Zeit, mich auf der Fahrt durch die Stadt umzusehen. Offenbar ging alle Welt zu diesem Ritual. Menschen säumten die Straßen, anfangs flüsternd und singend - noch mehr Dagon-Verse! -und schließlich laut rufend, dass ich sie retten würde. Dagon war bereit, ihnen zu vergeben! Ich würde Ägypten zu den Pele-sti bringen! Wir würden die Teraphim zurückbekommen! Die Ernte würde nie wieder schlecht ausfallen!
Ein Ritual. Verdammt. Je länger wir durch die geraden Straßen fuhren und je näher wir dem Meer kamen, desto nervöser wurde ich. Schon konnte ich das Salz schmecken und einen Hauch von Gischt in der Luft spüren. Ehe wir auf den Boulevard stießen, der parallel zum Strand verlief, fuhren wir in Richtung Süden. Wie konnte ich von hier verschwinden? Ganz gleich, was sie von mir wollten, ich würde ihnen nicht helfen können. Ich verstand nichts von Landwirtschaft. Noch weniger von Fischerei. Es gab keine Chance auf ein Happyend. Ich blickte zurück.
In Fünferreihen folgten sie dem Karren.
Ich blickte nach vorn.
Eine Menschenmenge hatte sich im Sand niedergelassen und schaute hinaus aufs Wasser. Zwischen einer felsigen Stelle am Strand und einem riesigen Felsen im Meer zog sich eine dunkle Linie hin, die von unten angeleuchtet wurde, und zwar von Männern in kleinen Nachen, die hoch erhobene Fackeln hielten. Innerhalb dieses Felsenbeckens konnte ich die Umrisse von Tieren ausmachen, die ich mit Ägypten in Verbindung brachte: Krokodilen.
Ich
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