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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Bedeutung dieser Augenblick hatte.
    Das Wetter schlug um, es blieb kühl, denn immerhin war es Dezember, doch es hörte auf zu regnen.
    Noch unterwegs begannen die Levim Daduas neueste Komposition vorzutragen. Wir lauschten dem Anfang der Psalmen. Ich drückte Cheftus Hand. Sein Blick war wie hypnotisiert auf die Bundeslade gerichtet, doch er erwiderte meinen Händedruck.
    »Die Erde ist Shadays und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen. Denn Er hat ihn über den Meeren gegründet und über den Wassern bereitet.
    Wer darf auf des Herrn Berg gehen und wer darf stehen an Seiner heiligen Stätte? Wer unschuldige Hände hat und reinen Herzens ist, wer nicht bedacht ist auf Lug und Trug. Nur der wird den Segen Shadays empfangen und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heils. Das ist das Geschlecht, das da sucht Dein Antlitz, Gott unserer Vorväter.
    Machet die Tore weit und die alten Türen hoch, dass Shaday, der König der Ehre einziehe! Wer ist der König der Ehre?
    Er ist el Elyon, der Starke und Mächtige, der Gott des Krieges, der Gott des Sieges.«
    Dadua sang den Vers ein zweites Mal und forderte dann die Menschen auf einzustimmen.
    Die Schönheit der Musik verschlug mir die Sprache. Auch wenn sie die für die Musik des Nahen Ostens typischen an-tiphonalen Grundelemente aufwies, verliehen ihr die Stimmen der uns umgebenden Chorknaben doch eine Unschuld und Majestät, wie ich sie nie zuvor erlebt hatte. Und in der Höhe wartete Tziyon, wo die Sonne durch die Wolken brach und den Stein mit rosafarbenem Licht überzuckerte.
    »Machet die Tore weit«, sangen die Chorknaben.
    Dadua schritt immer noch ehrfürchtig und mit flehend erhobenen Händen vor dem Thron her. Er ging dort, weil er keinesfalls wollte, dass sich jemand anderes in Gefahr begab, hatte Cheftu ihr erläutert. Die Giborim hatten gegen diese Geste Protest eingelegt, doch er war nicht auf ihre Bedenken eingegangen. Er sei für das Königreich und für dessen Beschlüsse verantwortlich, hatte er erklärt. Er würde vor Shadays Antlitz stehen. Wenn jemand niedergeschlagen werden sollte, dann er.
    Er war ein wahrer Anführer.
    Die Sonne verschwand hinter der nächsten Wolke, und schlagartig kühlte es ab. Die Stadttore, an denen sich schweigend die Stammesangehörigen drängten, standen weit offen.
    Die Levim hielten an, Dadua blieb stehen. Worauf warteten wir? Ein mächtiger Wind zog über uns hinweg, fast als wollte die Luft die Versammelten mit Gewalt in die Stadt hineintreiben. Ich hatte diesen Wind schon früher gespürt, und zwar bei meinen Zeitreisen. Cheftus Hand schloss sich fester um meine.
    Dann ergoss sich wie auf einem Renaissancegemälde ein Lichtstrahl durch die Wolken, durch ein Loch genau über Da-dua. Reglos stand er da, mit gesenktem Haupt, die Hände ehrfürchtig zum Himmel erhoben. Der Sonnenstrahl wurde intensiver, er ließ die roten, grünen, blauen und orangefarbenen Juwelen auf Daduas Brust aufflammen und das mahagonibraune
    Haar auf seinem Kopf zu einem Heiligenschein erstrahlen.
    Wir sahen, wie die Sonne ihn umhüllte. Vor unseren Augen wurde er mit Gold überzogen - ein ebenso göttliches und rätselhaftes himmlisches Sprachrohr wie die Elohim auf dem Thron.
    Dann begann er zu tanzen, in einer Explosion von Bewegungen, die wir kaum mit Blicken nachzuvollziehen vermochten. Nicht wie in der Tanzschule: vorwärts, seitwärts, rückwärts, Schluss. Nein, wie Barischnikow oder Astaire und mit erstaunlicher Akrobatik.
    Die Chorjungen begannen wieder zu singen, die Levim schritten weiter, wobei der Thron sacht zwischen ihnen schaukelte. Dann stockte den Menschen der Atem, denn der König der Stämme - der König Israels - warf seinen Schurz von sich.
    Was tat er da? Was dachte er sich dabei? Der König war nackt?
    Dadua tanzte.
    Er tanzte in überschwänglicher Freude vor Shaday. Er tanzte mit jener Freude, die einen am Ende eines phantastischen Tages erfüllt - wo man tanzt, weil man einfach nicht still sitzen kann. Er tanzte, weil das Leben so gut ist. Weil er Leben und Blut in sich spürte.
    Dadua tanzte nackt - befreit von der Last seines Ichs, seines Stolzes, seiner Scham. Ohne jeden sexuellen Unterton, sondern unbekleidet zum Ruhme des Menschseins, ein Geschöpf nach Gottes Ebenbild und ein Schöpfer wie Gott selbst.
    Dadua tanzte nackt mit Gott.
    Wir drängten in Tziyons schmale, sich überlagernde Straßen und folgten dabei der Menge, die sich dem Gesang der Chorknaben angeschlossen hatte und Gott pries - und nicht

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