Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho
lodernden Flammenwagen wider sie, bewaffnet mit Hagel und Blitzen.«
Die Kinder sahen mit großen Augen zu ihr auf. Auch ich saß wie gebannt da.
»Tehom schickte ihren besten Krieger Leviathan gegen Yahwe aus, doch Yahwe spaltete seinen Schädel mit einem Blitz und schleuderte dann ein Schwert in das Herz der Schlange Rahab. Die Wasser der Tiefe flohen vor Yahwes Stimme. Zitternd vor Angst ergab sich Tehom. Yahwe setzte fest, dass der Mond die Jahreszeiten regieren und die Sonne den Tag von der Nacht scheiden solle. In Ehrfurcht vor Yahwes Sieg begannen die Morgensterne zu singen und die Elohim vor Freude zu jubilieren.«
Die Kinder jubelten begeistert los, während die Erwachsenen mit den Knöcheln auf den Tisch pochten - die Art der Stammesbrüder zu applaudieren. Avgay’el beugte sich zu ihrem Publikum vor und fuhr leise fort: »Noch grünte kein Strauch und kein Feld auf Erden, und kein Halm hatte Wurzel gefasst -denn Yahwe hatte noch keinen Regen herabgeschickt und das Land noch nicht mit Erdlingen bevölkert -, doch von jenem Tag an, als die Erde vom Himmel geschieden war, erhob sich ein Nebel aus der Tiefe, um das Land zu netzen.
Aus dem Adama -«
Roten Boden, übersetzte mein Lexikon.
»- erschuf Yahwe mit Seinen Händen den Erdenbewohner.«
Die Kinder hielten vor Spannung den Atem an.
»Und in seine Nase, so wie du eine hast, Avshalem, oder du, K’liab«, wandte sie sich an zwei von Daduas Kindern, »blies Yahwe Nishmat ha hayyim.«
Auf der Leinwand in meinem Kopf leuchtete das Bild Gottes und Adams bei der ersten Berührung auf, das Fresko von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle. Nur streckte bei mir das bärtige Himmelsporträt Gottes nicht den Finger nach Adam aus, sondern hauchte seinen Odem in den leblosen Leib Adams: der daraufhin die Augen aufschlug und seinen Schöpfer ansah.
Das, erklärte mein Lexikon triumphierend, ist Nishad ha hayyim. Der göttliche Odem des Allerhöchsten, der Leben spendet und die Leidenschaft am Leben.
»Sehet nun: Der Mensch wurde Fleisch«, sagte Avgay’el.
Meine Hände zitterten; ich hoffte nur, dass niemand jetzt Wein wollte.
»Also: Yahwe pflanzte einen Garten, in Eden. Gegen Morgen hin setzte Er den Menschen hinein, Adama, den er aus Lehm und seinem Odem erschaffen hatte. Auf Sein Wort hin ließ Yahwe dort alle Bäume wachsen, die das Auge und den Magen erfreuten. Der Baum des Lebens wuchs dort und der Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.« Avgay’el hielt inne, um einem Kind durch das Haar zu wuscheln.
»Yahwe setzt den Menschen in den Garten, dass er ihn bebaue. >Du sollst von allen Bäumen essenc, spricht Er zu dem Menschen. >Doch von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen. An jenem Tag, da du davon isst, soll der Tod dich erkennen.««
»Ist er nicht einsam?«, fragte einer von Daduas Söhnen.
Avgay’el lächelte ihn an. »Ken, er ist einsam. Yahwe hat alles Getier des Feldes, der Luft und der Wasser erschaffen, und
Adama hat alles benannt, doch keines davon ist ihm ein Gefährte.«
»Doch Mik’el ist Daduas Gefährte, nachon ?«, warf eines der Kinder ein. Alle im Raum erstarrten und blickten auf die reglos dasitzende Frau. Avgay’el lächelte ihre Rivalin an, ohne in ihrer Erzählung auszusetzen.
»>Armer Adame, so spricht Yahwe zu ihm. Da lässt Yahwe Adama in einen tiefen Schlaf fallen. Und während er schläft, nimmt Yahwe eine seiner Rippen und schließt die Wunde. Aus der Rippe des Mannes baut Yahwe eine Frau und setzt sie zurück an Adamas Seite.«
»Wie heißt sie? Wie heißt sie?«, rief alles durcheinander.
»Ihr wisst, wie sie heißt«, antwortete Avgay’el lächelnd. Sie sah aus wie eine Kameeschnitzerei von Wedgwood. »Die Mutter aller Dinge. Wer ist das?«
»Hava!«, riefen sie wie aus einem Mund.
Mein Lexikon lieferte mir unnötigerweise den modernen Namen: Eva.
Avgay’el wandte sich an die Braut, Mik’el. »So wie Hava über Eden und Adama herrschte, so heiße ich dich als meine Schwester willkommen, die herrschen soll -« Sie hielt inne und verbeugte sich elegant. Was kam jetzt?
Mik’el sah uns alle an. Alle beugten sich kaum wahrnehmbar vor und warteten gespannt auf ihre Antwort, auf eine elegante Erwiderung. Sie schwieg und schien ihre Gedanken zu sammeln. Dann sah sie uns alle an. »Ich möchte mich jetzt zurückziehen.«
Totenstille. Daduas Gesicht verhärtete sich, doch er erhob sich mit ihr. Avgay’el verharrte in ihrer Verbeugung, weshalb ihr Gesicht nicht zu sehen
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