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Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho

Titel: Frank, Suzanne - Die Hüterin von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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keine Steine, nur Lehm.« Er seufzte. »Wir hatten den Deich mit Lehm geflickt, weil das immer noch besser war als nichts. Dann war der alte Ma’atonum«, korrigierte sich der Alte hastig, damit der Name religiös akzeptabel klang, »eines Nachts, ungefähr letztes Jahr um diese Zeit, hier draußen. Aii, er war gerade dabei, den Deich auszubessern, als die Götter ihn zu sich geholt haben.«
    RaEm drehte sich zu dem Mann um. »Er ist gestorben?«
    »Ja, Herr. Wir haben ihn nie gefunden, denn bei seinem Sturz hat er die ausgetrockneten Lehmziegel zerschlagen, und Schwapp! kam das Wasser durch und hat alles mit fortgeschwemmt, Ma’atonum, den Deich und den Fluss, alles auf unser Feld. Ein paar Tiere sind auch dabei ertrunken.«
    Sofort setzte RaEm ihre Schritte behutsamer. Sie hatte keine Lust, auf Ma’atonums Überreste zu treten.
    »Ist es hier, Herr?«, rief einer der Ruderer. Er stand bei einem halb unter Wasser liegenden Steinhaufen. RaEm brauchte ihre Zeichnung nicht zu konsultieren, sie kannte sie auswendig. Mit einem knappen Nicken stapfte sie weiter auf ihn zu. RaEm sah sich um und versuchte sich vorzustellen, wie diese Felder wohl vor ihrer Verwandlung in einen moskitoverseuchten Tümpel ausgesehen hatten. »Gibt es eine Möglichkeit, den Silo zu öffnen, ohne dass Wasser hineinläuft?«, fragte sie niemand Bestimmten.
    »Man könnte das Feld trockenlegen«, schlug der alte Bauer vor. »Dann ist es egal, dann kannst du die Tür so weit aufreißen, wie es dir gefällt.«
    Und du hast dein Feld zurück, das Pharao für dich trockenlegt, dachte RaEm. Doch sie musste ihn für seine Listigkeit bewundern. »Wie viele Sklaven für wie viele Tage?«, fragte sie ihn.
    Er sah aus wie eine Rosine, kahl, braun und schrumpelig. Das Alter macht die Menschen unattraktiv, dachte sie leidenschaftslos. »Zwanzig Arbeiter würden vielleicht eine Woche, allerhöchstens fünfzehn Tage brauchen, wenn sie vom Morgen bis zum Abend hier draußen sind.« Er taxierte sie mit zusammengekniffenen Augen. »Ich kenne zwanzig Männer, die das übernehmen könnten und wahrscheinlich billiger sind als Sklaven.«
    RaEm verschränkte die Arme und spürte, wie der Schweiß über die Moskitopickel auf ihren Armen und Beinen rollte.
    »Billiger als Sklaven?«
    Er pulte in seinen Zähnen - den wenigen, die ihm noch geblieben waren -, und rückte dann seinen Schurz, einen schmuddeligen, steifen Fetzen, zurecht. »Sklaven brauchen etwas zu essen, haii! Ein paar Gurken, Brot, Salzfisch, das steht ihnen laut Vertrag zu, habe ich Recht?«
    »Hast du.«
    »Und da es Pharao, ewig möge er leben! -«
    »Der ruhmreiche Pharao, ewig möge er im Lichte Atons leben!«, verbesserte RaEm ihn unwillkürlich.
    »Genau. Da es ihm vor allem an Nahrungsmitteln fehlt, wäre es da nicht besser, ein paar Männer anzuheuern, die ihren Bauch selber füllen können, und sie mit etwas zu bezahlen, das Ägypten im Übermaß besitzt?«
    »Wie etwa?« RaEm schlug einen weiteren Moskito tot.
    »Steinen vielleicht?«
    Sie warf den Kopf zurück und lachte. »Ihr sollt eure Steine bekommen, Alter. In sieben Tagen bin ich wieder da -«
    »Sieben Tage! Hältst du mich für einen Heidengott, dass ich in sieben Tagen Wasser in Land verwandeln kann?«
    »Sieben, Alter, oder unser Geschäft ist hinfällig.«
    Er kreuzte respektvoll den Arm vor der Brust, eine uralte Geste, für die RaEm ihn noch sympathischer fand.
    »Bis dahin müsst ihr fertig sein, sonst werde ich dich unter den Steinen begraben.«
    Er wischte sich mit dem Handrücken über die Nase und meinte langsam: »Wenn du nicht an das Getreide kommst, dann wirst du dazu keine Steine mehr brauchen. Dann bringt uns schon der Hunger um.«
    Plötzlich fühlte sich RaEm erschöpft. Sie sehnte sich nach einem Bad, frischen Kleidern und einem jungen Knaben, daher befahl sie den Ruderern, sie zurück zum Nil zu bringen.
    Sieben Tage. Es war ihre letzte Hoffnung: ein riesiger, mit Getreide gefüllter Silo unter der Erde, um ein hungriges Volk satt zu machen. Sieben Tage.

    7. KAPITEL
    In dieser Nacht stand nach dem Essen der Tzadik N’tan auf, während wir Sklaven, froh über die Pause, uns setzten. Es war das Yom Rishon-Essen, das genau genommen am Abend nach dem Sabbat stattfand, da der heilige Tag von einer Abenddämmerung bis zur nächsten andauerte. Sobald N’tan seine weiße Robe straffte, verstummten die Menschen und lehnten sich zurück.
    Sie waren die Art von Unterhaltung gewohnt, die N’tan mit seinen Predigten bot.

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