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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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bezeichnendes Licht auf seinen Charakter wirft, kann ich mich nicht enthalten, davon zu berichten. Einer seiner engsten Freunde war ein Kaufmann, der aus vermögenden Verhältnissen infolge wiederholten Mißgeschicks in Armut geraten war. Dieser Mann, der Beaufort hieß, war von stolzer und unnachgiebiger Gemütsart und konnte sich nicht damit abfinden, in demselben Land, wo er sich früher durch seinen Rang und gesellschaftlichen Glanz hervorgetan hatte, in Armut und Vergessenheit zu leben. Nachdem er in ehrenhaftester Weise seine Schulden bezahlt hatte, zog er sich deshalb mit seiner Tochter in die Stadt Luzern zurück, wo er als Unbekannter im Elend lebte. Mein Vater liebte Beaufort mit wahrer Freundschaft und empfand angesichts seiner Flucht unter diesen Umständen tiefen Kummer. Er beklagte bitter, daß ein falscher Stolz seinen Freund zu einem Verhalten drängte, das der sie verbindenden Zuneigung so wenig gerecht wurde. Er verlor keine Zeit in seinem Bemühen, ihn zu suchen, immer in der Hoffnung, ihn mit seinem Kredit und seinem Beistand zu einem neuen Anfang bewegen zu können.
    Beaufort hatte wirksame Maßnahmen getroffen, sich zu verbergen, und es dauerte zehn Monate, bis mein Vater seinen Aufenthaltsort ausgeforscht hatte. Von Herzen froh über diese Entdeckung, eilte er zu dem Haus, das in einer ärmlichen Straße dicht an der Reuß stand. Doch als er eintraf, empfingen ihn nichts als Elend und Verzweiflung. Beaufort hatte aus dem Schiffbruch seines Vermögens nur eine ganz geringe Summe Geldes gerettet; sie reichte jedoch aus, ihn mehrere Monate lang mit dem nötigsten Lebensunterhalt zu versorgen, und inzwischen hoffte er eine anständige Beschäftigung in einer Handelsfirma zu bekommen. Diesen Zeitraum verbrachte er deshalb untätig, und als er Muße zum Nachdenken hatte, wurde sein Kummer nur noch tiefer und schmerzhafter; schließlich setzte er sich so sehr in seinem Gemüt fest, daß er nach Ablauf von drei Monaten auf dem Krankenbett lag, unfähig zu irgendeiner Bemühung.
    Seine Tochter pflegte ihn mit größter Liebe; doch sie sah verzweifelt, daß ihr kleiner Geldbestand rasch zusammenschmolz und keine andere Aussicht auf Unterstützung bestand. Jedoch Caroline Beaufort besaß einen Geist von ungewöhnlichem Format, und ihr Mut richtete sich auf, um sie in ihrer Not zu unterstützen. Sie beschaffte sich einfache Arbeit. Sie flocht Stroh, und auf verschiedene Weise gelang es ihr, einen kärglichen Unterhalt zu verdienen, der kaum ausreichte, die beiden am Leben zu halten.
    Mehrere Monate vergingen auf diese Weise. Ihrem Vater ging es schlechter. Sie brauchte ihre Zeit fast gänzlich für seine Pflege; ihre Mittel zum Leben nahmen ab, und im zehnten Monat starb ihr Vater in ihren Armen und ließ sie als Waise und bettelarm zurück. Dieser letzte Schlag übermannte sie, und sie kniete bitterlich weinend an Beauforts Sarg, als mein Vater ins Zimmer trat. Er kam wie ein Schutzengel zu dem armen Mädchen, das sich seiner Obhut anvertraute; und nach der Beerdigung seines Freundes brachte er sie nach Genf und gab sie in den Schutz einer Verwandten. Zwei Jahre nach diesem Ereignis wurde Caroline seine Frau.
    Zwischen meinen Eltern bestand ein erheblicher Altersunterschied, doch dieser Umstand schien sie nur noch fester in herzlicher Liebe zu verbinden. Im aufrechten Geist meines Vaters wohnte ein Gerechtigkeitssinn, der von ihm hohe Achtung aufzubringen verlangte, um stark lieben zu können. Vielleicht hatte er in früheren Jahren an der verspäteten Entdeckung gelitten, daß eine geliebte Frau dessen nicht würdig war, und war deshalb geneigt, größeren Wert auf verbürgte Ehrbarkeit zu legen. In seiner Liebe zu meiner Mutter offenbarte sich eine Dankbarkeit und Anbetung, die sich völlig von der kindischen Vernarrtheit des Alters abhob, denn sie entsprang der Verehrung ihrer Tugenden und dem Wunsch, sie in gewissem Maße für die durchlittenen Kümmernisse zu entschädigen, was seinem Verhalten ihr gegenüber eine unaussprechliche Huld verlieh. Alles hatte sich ihrem Wunsch und Willen zu fügen. Er trachtete, sie vor jedem rauheren Wind zu beschirmen, wie der Gärtner eine schöne exotische Blume beschirmt, und sie mit allem zu umgeben, was in ihrem sanften und gütigen Wesen angenehme Empfindungen hervorrufen könnte. Ihre Gesundheit und sogar die Ruhe ihres bis dahin standhaften Gemüts waren von all dem, was sie durchlitten hatte, erschüttert. Während der zwei Jahre, die vor ihrer Heirat

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