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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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Verzweiflung ausgelöste
Meuterei.
    5. September Soeben hat sich eine Szene von so ungewöhnlichem Interesse abgespielt, daß ich nicht umhinkann, sie aufzuzeichnen, obwohl diese Papiere Dich höchstwahrscheinlich nie erreichen werden.
    Wir sind immer noch von Eisbergen eingeschlossen, immer noch in höchster Gefahr, bei ihrem Zusammenstoß zerdrückt zu werden. Es ist bitterkalt, und schon viele meiner unglücklichen Kameraden haben inmitten dieser wüsten Landschaft ihr Grab gefunden. Frankensteins Kräfte nehmen von Tag zu Tag ab. In seinen Augen glimmt noch ein fiebriges Feuer; aber er ist erschöpft, und wenn er sich plötzlich einer noch so geringen Anstrengung unterzieht, versinkt er sogleich wieder in scheinbare Leblosigkeit.
    In meinem letzten Brief erwähnte ich meine Befürchtungen hinsichtlich einer Meuterei. Heute morgen, als ich dasaß und meines Freundes bleiches Gesicht betrachtete – seine Augen sind halb geschlossen, die Gliedmaßen schlaff –, schreckte mich ein halbes Dutzend Seeleute auf, die Zutritt in die Kajüte verlangten. Sie kamen herein, und ihr Anführer sprach zu mir. Er eröffnete mir, er und seine Begleiter seien von den übrigen Seeleuten auserwählt worden, sich als Abordnung an mich zu wenden und an mich eine Forderung zu stellen, die ich billigerweise nicht abschlagen könne. Wir seien von Eismauern umschlossen und würden wahrscheinlich nie entrinnen; doch sie fürchteten, falls sich das Eis möglicherweise zerteile und sich eine freie Durchfahrt auftue, könnte ich so unbesonnen sein, meine Reise fortzusetzen und sie in neue Gefahren zu führen, nachdem sie vielleicht diese glücklich überstanden hätten. Sie bestünden deshalb darauf, daß ich mich mit einem feierlichen Versprechen binde, falls das Schiff freikomme, unverzüglich einen südlichen Kurs einzuschlagen.
    Diese Rede beunruhigte mich. Ich hatte die Hoffnung nicht aufgegeben, auch der Gedanke an eine Umkehr, falls wir freikämen, war mir nicht gekommen. Doch konnte ich gerechterweise diese Forderung ablehnen, oder wäre mir das überhaupt möglich? Ich zögerte, bevor ich antwortete. Da raffte sich Frankenstein auf, der bisher geschwiegen hatte und in der Tat kaum die Kraft zu besitzen schien, auch nur zuzuhören. Seine Augen blitzten, und seine Wangen waren von einer vorübergehenden Kraftaufwallung rot überhaucht. Er wandte sich an die Männer und sprach:
    »Was wollt ihr damit sagen? Was verlangt ihr von eurem Captain? Laßt ihr euch so leicht von eurem Vorsatz abbringen? Habt ihr das nicht eine glorreiche Expedition genannt? Und weshalb war sie glorreich? Nicht, weil die Fahrt glatt und friedlich verlief wie auf einem südlichen Meer, sondern weil sie voller Gefahren und Schrecken war, weil bei jedem neuen Zwischenfall eure Standhaftigkeit auf die Probe gestellt und euer Mut bewiesen werden sollte, weil die Gefahr und der Tod sie umgaben, und diese solltet ihr herausfordern und überwinden. Deshalb war es eine glorreiche, deshalb war es eine ehrenhafte Unternehmung. Später solltet ihr als Wohltäter der Menschheit gerühmt werden. Man sollte eure Namen verehren als die tapferer Männer, die um der Ehre und um des Nutzens für die Menschheit willen in den Tod gingen. Und siehe da, beim ersten Anschein der Gefahr oder, wenn ihr so wollt, der ersten und furchtbaren Prüfung eures Mutes schreckt ihr zurück und findet euch damit ab, daß man von euch sagen wird, das waren Männer, die nicht genug Stärke besaßen, um Kälte und Gefahr zu ertragen; und sie, die armen Kerle, haben so gefroren, daß sie an ihre warmen Kaminfeuer zurückgekehrt sind. Aber das erfordert doch nicht so viel Vorbereitung: ihr hättet nicht so weit zu fahren und euren Captain der Schande einer Niederlage auszusetzen brauchen, nur um euch als Feiglinge zu erweisen. Oh, seid Männer, oder seid mehr als Männer! Bleibt standhaft und felsenfest bei eurem Vorsatz. Dieses Eis ist nicht aus dem Stoff gemacht wie eure Herzen, es ist veränderlich und kann euch keinen Widerstand leisten, wenn ihr das nicht duldet. Kehrt nicht mit dem Makel der Schande auf der Stirn zu euren Familien zurück. Kehrt als Helden zurück, die gekämpft und gesiegt haben und die nicht wissen, was es heißt, dem Gegner den Rücken zuzuwenden!«
    Er brachte das mit einer den verschiedenen in seiner Ansprache ausgedrückten Gefühlen so angepaßten Stimme vor, mit Augen so voll erhabenen Strebens und Heldenmuts, daß es kein Wunder war, wenn diese Männer ergriffen waren.

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