Frankenstein
eindringlich und plausibel sie auch sein mochten. Ein solches Ungeheuer existiert also wirklich! Ich kann es nicht bezweifeln, und doch bin ich vor Erstaunen und Bewunderung ganz außer mir. Manchmal habe ich versucht, von Frankenstein Näheres über die Erschaffung des Geschöpfes zu erfahren. Doch in diesem Punkt war er unzugänglich.
»Sind Sie wahnsinnig, mein Freund?« sagte er, »oder wohin führt Sie Ihre unverständige Neugier? Würden auch Sie sich selbst und der Welt einen so teuflischen Feind erschaffen wollen? Nur ruhig! Hören Sie sich meine Schicksalsschläge an und suchen Sie nicht die eigenen zu vermehren.«
Frankenstein bekam heraus, daß ich mir über seine Geschichte Aufzeichnungen machte: er wollte sie sehen und verbessern und ergänzte sie selbst an vielen Stellen. Doch vor allem, indem er Wort und Geist der Gespräche, die er mit seinem Feind geführt hatte, getreu wiedergab. »Da Sie meinen Bericht festgehalten haben«, sagte er, »möchte ich nicht, daß er in verstümmelter Form auf die Nachwelt kommt.«
So ist eine Woche vergangen, während ich der seltsamsten Erzählung lauschte, die je die Phantasie erschuf. Meine Gedanken und jede Regung meiner Seele gehen ganz auf in der Teilnahme für meinen Gast, die seine Geschichte und sein überlegenes und edles Wesen wachgerufen haben. Ich möchte ihn beruhigen, doch kann ich jemandem, der so unendlich schmerzerfüllt ist, der jeder Hoffnung auf Trost so sehr ermangelt, zureden weiterzuleben? Ach nein! Das einzige Glück, das ihm jetzt noch zuteil werden kann, wird es sein, wenn er seine zerrüttete Seele auf den ewigen Frieden und den Tod vorbereitet. Doch einen Trost besitzt er, den Sproß der Einsamkeit und des Fieberwahns: er glaubt, wenn er im Traum mit seinen Freunden spricht und aus diesem Umgang Balsam für seine Leiden oder Anreiz für seine Rache bezieht, sie seien nicht die Gebilde seiner Phantasie, sondern die Menschen selbst, die ihn aus den Regionen einer fernen Welt besuchen. Dieser Glaube verleiht seinen Traumbildern einen feierlichen Ernst, der sie für mich beinahe so beeindruckend und fesselnd macht wie die Wahrheit.
Unsere Gespräche beschränken sich nicht immer auf seine Lebensgeschichte und sein Mißgeschick. In jeder Richtung der allgemeinen Literatur offenbart er unbegrenztes Wissen und eine rasche und durchdringende Auffassungsgabe. Seine Beredsamkeit ist überzeugend und bewegend. Auch kann ich, wenn er einen ergreifenden Vorfall schildert oder sich bemüht, die Regungen des Mitgefühls oder der Liebe zu wecken, ihm nicht ohne Tränen zuhören. Welch ein herrlicher Mensch muß er in den Tagen seines Wohlergehens gewesen sein, wenn er noch im Ruin so edel und göttergleich ist! Er scheint sich seines eigenen Wertes und der Tiefe seines Falls bewußt zu sein.
»In jüngeren Jahren«, sagte er, »glaubte ich für irgendeine bedeutende Unternehmung ausersehen zu sein. Mein Gemüt ist tief, doch ich besaß eine kühle Urteilskraft, die mich zu hervorragenden Leistungen befähigte. Dieses Bewußtsein des Wertes meines Charakters gab mir Halt, wenn andere sich überwältigt gefühlt hätten, denn ich hielt es für verbrecherisch, jene Gaben in nutzlosem Gram wegzuwerfen, die meinen Mitmenschen nützlich sein könnten. Wenn ich über das Werk nachdachte, das ich vollbracht hatte, nichts Geringeres als die Erschaffung eines fühlenden und vernunftbegabten Tieres, konnte ich mich nicht mit der Herde der gewöhnlichen Erfinder auf eine Stufe stellen. Doch dieser Gedanke, der mich am Anfang meiner Laufbahn stützte, dient jetzt nur dazu, mich noch tiefer in den Staub zu stürzen. Alle meine Theorien und Hoffnungen sind zunichte geworden. Und wie der Erzengel, der nach der Allmacht strebte, liege ich in Ketten in einer ewigen Hölle. Meine Phantasie war lebhaft, doch waren meine Fähigkeiten zur Analyse und praktischen Anwendung stark entwickelt. Mit Hilfe der Vereinigung dieser Fähigkeiten entwarf ich die Idee der Erschaffung eines Menschen und führte sie aus. Selbst jetzt noch kann ich mich nicht ohne heftige Erregung meiner Träumereien entsinnen, solange das Werk unvollendet war. In meinen Gedanken schwebte ich im Himmel, einmal über meine Macht frohlockend, einmal glühend angesichts des Bildes ihrer Auswirkungen. Von klein auf war ich von stolzen Hoffnungen und einem hochstrebenden Ehrgeiz durchdrungen, doch wie bin ich gesunken! Ach, mein Freund, hätten Sie mich gekannt, wie ich früher war, würden Sie mich in diesem
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