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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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Sie sahen einander an und waren keiner Antwort fähig. Dann sprach ich, ich hieß sie gehen und über das Gesagte nachdenken, ich würde sie nicht weiter nach Norden führen, wenn sie unbedingt das Gegenteil wollten, doch ich hoffe, bei einiger Überlegung werde ihr Mut zurückkehren.
    Sie gingen, und ich wandte mich meinem Freund zu, doch er war entkräftet zurückgesunken und beinahe leblos.
Wie das alles enden wird, weiß ich nicht, aber ich würde eher sterben als in Schande zurückkehren – ohne mein Vorhaben ausgeführt zu haben. Doch ich fürchte, das steht mir bevor, denn die Männer, denen keine Vorstellungen von Ruhm und Ehre Rückhalt geben, können ihre jetzige Mühsal freiwillig gewiß nicht weiter ertragen.
    7. September Der Würfel ist gefallen. Ich habe der Umkehr zugestimmt, wenn wir nicht vorher umkommen. So sind meine Hoffnungen durch Feigheit und Unentschlossenheit vernichtet, ich kehre ohne neue Erkenntnisse und enttäuscht heim. Es erfordert mehr Gleichmut, als ich ihn aufbringe, diese Ungerechtigkeit mit Geduld zu ertragen.
12. September
    Es ist vorbei, ich kehre nach England zurück. Ich habe meine Hoffnungen auf praktischen Nutzen und Ruhm verloren – ich habe meinen Freund verloren. Doch ich will mich bemühen, Dir, meine liebe Schwester, diese bitteren Umstände im einzelnen zu schildern. Und solange mich die Fahrt nach England und zu Dir trägt, will ich den Mut nicht sinken lassen.
    Am 9. September begann das Eis sich zu regen, und aus der Ferne war Donnergetöse zu hören, als die Inseln in allen Richtungen aufrissen und auseinanderbrachen. Wir schwebten in höchster Gefahr. Doch da wir nur tatenlos zusehen konnten, widmete ich den größten Teil meiner Aufmerksamkeit meinem unglücklichen Gast, dessen Befinden sich in solchem Maße verschlechterte, daß er ganz ans Bett gefesselt war. Hinter uns brach das Eis auseinander und trieb mit großer Gewalt nach Norden ab. Von Westen her kam eine Brise auf, und am 11. wurde die Durchfahrt in südlicher Richtung völlig frei. Als die Seeleute das sahen und erkannten, daß ihre Rückkehr in die Heimat anscheinend gesichert war, erhoben sie ein ungestümes Freudengeschrei, laut und lang anhaltend. Frankenstein, der gerade schlummerte, erwachte und fragte nach dem Grund für den Lärm. »Sie jubeln«, sagte ich, »weil sie bald nach England zurückkehren!«
    »Kehren Sie also wirklich um?«
»Leider ja! Ich kann mich ihren Forderungen nicht widersetzen. Ich kann sie nicht widerstrebend in die Gefahr führen und
    muß umkehren.«
»Tun Sie das, wenn. Sie wollen, aber ich kehre nicht um. Sie mögen Ihr Vorhaben aufgeben, aber meines ist mir vom Himmel auferlegt, und ich wage es nicht. Ich bin geschwächt, aber gewiß werden mir die Geister, die meiner Rache beistehen, genügend Kraft verleihen.« Mit diesen Worten suchte er vom Bett aufzuspringen, doch die Anstrengung war zu groß für ihn. Er sank zurück und verlor das Bewußtsein.
    Es dauerte lange, bis er wieder zu sich kam, und ich dachte mehrmals, sein Leben wäre ganz erloschen. Endlich schlug er die Augen auf. Er atmete mit Mühe und konnte nicht sprechen. Der Wundarzt gab ihm eine beruhigende Arznei und wies uns an, ihn nicht zu stören. Inzwischen eröffnete er mir, mein Freund habe mit Sicherheit nicht mehr viele Stunden zu leben.
    Das Urteil war gesprochen, und ich konnte nur trauern und mich in Geduld fassen. Ich saß an seinem Bett und beobachtete ihn. Seine Augen waren geschlossen, und ich glaubte, er schlafe, doch nach einiger Zeit rief er mich mit schwacher Stimme an und sprach: »Ach! Die Kraft, auf die ich zählte, hat mich verlassen. Ich spüre, daß ich bald sterben werde, und er, mein Feind und Peiniger, ist womöglich noch am Leben. Glauben Sie nicht, Walton, daß ich in den letzten Augenblicken meines Lebens jenen brennenden Haß und glühenden Rachedurst empfinde, den ich einst geäußert habe, doch ich fühle mich im Recht, wenn ich meinem Gegner den Tod wünsche. In den letzten Tagen war ich damit beschäftigt, mein bisheriges Verhalten zu überprüfen, und finde es nicht tadelnswert. In einer Anwandlung wahnwitziger Begeisterung schuf ich ein vernunftbegabtes Wesen und war ihm gegenüber gehalten, für sein Glück und Wohlergehen zu sorgen, soweit es in meiner Macht stand. Das war meine Pflicht, aber es gab noch andere, überragende Pflichten. Meine Verpflichtung gegenüber den Wesen meiner eigenen Gattung hatten größeren Anspruch auf Berücksichtigung, weil sie in

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