Frankenstein
größerem Maße Glück oder Unglück umfaßten. Von dieser Einsicht geleitet, weigerte ich mich zu Recht, eine Gefährtin für das erste Geschöpf zu schaffen. Er hatte eine Bösartigkeit und einen selbstsüchtigen Hang zum Übel ohnegleichen offenbart; er tötete meine Freunde, er weihte Menschen dem Tod, die feinstes Empfinden, eine glückliche Veranlagung und Klugheit besaßen, und ich weiß nicht, wo dieser Rachedurst noch enden mag. Selbst unglücklich, muß er sterben, damit er niemanden mehr unglücklich macht. Die Aufgabe, ihn zu vernichten, kam mir zu, doch ich habe versagt. Von egoistischen und bösartigen Beweggründen getrieben, forderte ich Sie auf, sich meiner unvollendeten Aufgabe anzunehmen, und jetzt, da mich nur Verstand und Lauterkeit dazu bewegen, wiederhole ich diese Bitte.
Doch kann ich nicht von Ihnen verlangen, Ihrem Vaterland und Ihren Freunden zu entsagen, um diese Aufgabe zu erfüllen, und jetzt, wo Sie nach England zurückkehren, werden Sie kaum Aussicht auf eine Begegnung mit ihm haben. Doch diese Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte und das sorgfältige Abwägen dessen, was Sie für Ihre Pflicht halten mögen, überlasse ich Ihnen. Der nahende Tod hat meine Urteilskraft und mein Denken bereits getrübt. Ich wage Sie nicht zu bitten, das zu tun, was ich für richtig halte, denn womöglich täuscht mich immer noch die Leidenschaft.
Daß er als ein Werkzeug des Unheils weiterleben soll, belastet mich. In jeder anderen Hinsicht ist diese Stunde, da ich jeden Augenblick meine Erlösung erwarte, die einzige glückliche, die ich seit mehreren Jahren genossen habe. Die Gestalten der geliebten Toten schimmern vor meinen Augen, und ich eile in ihre Arme. Leben Sie wohl, Walton! Suchen Sie das Glück in der Stille und meiden Sie den Ehrgeiz, selbst wenn es nur der scheinbar harmlose wäre, sich in der Wissenschaft und in Entdeckungen hervorzutun. Aber warum sage ich das? Ich bin unter solchen Hoffnungen zugrunde gegangen, doch ein anderer mag Erfolg haben.«
Seine Stimme war immer schwächer geworden, und schließlich schwieg er, von der Anstrengung erschöpft. Nach etwa einer halben Stunde versuchte er wieder zu sprechen, vermochte es aber nicht. Er drückte mir kraftlos die Hand, und seine Augen schlossen sich für immer, während der sanfte Glanz eines Lächelns von seinen Lippen verblaßte.
Margaret, was kann ich zu dem viel zu frühen Erlöschen dieses großartigen Geistes äußern? Was kann ich sagen, das Dich in die Lage versetzt, die Tiefe meiner Trauer nachzuempfinden? Alles, was ich aussprechen könnte, wäre unzulänglich und schwach. Meine Tränen fließen, eine Wolke der Enttäuschung überschattet mein Gemüt. Doch ich fahre auf England zu, und dort finde ich vielleicht Trost.
Ich werde unterbrochen. Wovon künden diese Geräusche? Es ist Mitternacht. Der Wind weht günstig, und die Wache an Deck regt sich kaum. Wieder, es ist ein Laut wie von einer menschlichen Stimme, aber rauher. Sie kommt aus der Kajüte, wo noch immer Frankensteins sterbliche Hülle liegt. Ich muß aufstehen und nachsehen. Gute Nacht, liebe Schwester.
Großer Gott! Welche Szene hat sich soeben abgespielt! Mir schwindelt noch bei der Erinnerung. Ich weiß kaum, ob ich die Macht haben werde, sie zu schildern. Doch die Geschichte, die ich niedergeschrieben habe, wäre ohne diese letzte und erstaunliche Katastrophe unvollständig.
Ich betrat die Kajüte, wo der Leichnam meines unglücklichen und bewundernswerten Freundes lag. Über ihn neigte sich eine Gestalt, die zu beschreiben ich keine Worte finde. Riesenhaft von Statur, doch roh und mißgestaltet in den Proportionen. Als er sich über den Sarg neigte, war sein Gesicht von langen, zerzausten Locken verborgen. Doch sah ich seine mächtige Hand ausgestreckt, der Farbe und der geweblichen Beschaffenheit nach einer Mumie ähnelnd. Als er mich kommen hörte, brach er seine bestürzten und kummervollen Ausrufe ab und sprang zum Fenster. Nie habe ich einen so grausigen Anblick wie sein Gesicht gesehen, von so abstoßender, schauderhafter Häßlichkeit. Unwillkürlich schloß ich die Augen und suchte mich zu erinnern, wie sich meine Pflichten gegenüber diesem Würger verhielten. Ich rief ihn an, stehenzubleiben.
Er verhielt den Schritt und sah mich verwundert an. Und sich wieder dem leblosen Körper seines Schöpfers zuwendend, schien er meine Anwesenheit zu vergessen, und jede Miene und Geste schienen der wildesten Aufwallung einer unbeherrschbaren
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