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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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wiederherstellen können. Die Gestalt des Ungeheuers, das ich ins Leben gerufen hatte, stand mir immerzu vor Augen, und ich phantasierte unaufhörlich von ihm. Gewiß staunte Henri über meine Worte: er hielt sie anfangs für Irrwege meiner gestörten Phantasie, doch die Hartnäckigkeit, mit der ich ständig auf dasselbe Thema zurückkam, überzeugte ihn davon, daß mein Übel wirklich irgendeinem ungewöhnlichen und schrecklichen Ereignis entsprungen war.
    Nur ganz allmählich und mit häufigen Rückfällen, die meinen Freund beunruhigten und bekümmerten, genas ich. Ich erinnere mich, als ich zum ersten Mal überhaupt wieder äußere Dinge mit Freude zu betrachten vermochte, bemerkte ich, daß das Herbstlaub verschwunden war und daß an den Bäumen, die mein Fenster beschatteten, die jungen Knospen hervorbrachen. Es war ein wunderbarer Frühling, und die Jahreszeit trug erheblich zu meiner Genesung bei. Ich fühlte auch freudige und liebevolle Gefühle in meinem Busen aufleben. Meine Schwermut verschwand, und in kurzer Zeit war ich so heiter wie damals, ehe mich die verhängnisvolle Leidenschaft überkommen hatte.
    »Liebster Clerval«, rief ich, »wie gut, wie herzensgut du zu mir bist! Diesen ganzen Winter hast du in meinem Krankenzimmer verbracht, statt ihn an das Studium zu wenden, wie du es dir vorgenommen hattest. Wie kann ich dir das jemals vergelten? Ich habe die größten Gewissensbisse wegen der Enttäuschung, deren Ursache ich war; aber du wirst mir verzeihen.«
    »Du vergiltst es mir voll und ganz, wenn du dich nicht aufregst, sondern gesund wirst, so schnell du kannst. Und da du so gut aufgelegt zu sein scheinst, darf ich mit dir über ein bestimmtes Thema sprechen, ja?«
    Ich erbebte. Ein bestimmtes Thema! Was konnte das sein? Konnte er auf etwas anspielen, an das ich nicht einmal zu denken wagte?
    »Fasse dich«, sagte Clerval, der mein Erbleichen beobachtet hatte, »ich will nicht davon sprechen, wenn es dich aufregt. Aber dein Vater und deine Kusine würden sich sehr freuen, wenn sie von dir einen Brief in deiner eigenen Handschrift bekämen. Sie wissen kaum, wie krank du gewesen bist, und machen sich Sorgen über dein langes Schweigen.«
    »Ist das alles, mein lieber Henri? Wie konntest du glauben, daß mein erster Gedanke nicht zu jenen lieben, lieben Freunden fliegen würde, an denen ich so hänge und denen ich meine Zuneigung in solchem Maße schulde?«
    »Wenn du derzeit so gestimmt bist, wirst du vielleicht mit Freuden den Brief lesen, der seit einigen Tage hier für dich liegt: ich glaube, er ist von deiner Kusine.«

Sechstes Kapitel
    Clerval übergab mir dann den folgenden Brief. Er war von meiner liebsten Elisabeth:

    »Genf, 18. März 17. Mein lieber Vetter,
    Du bist krank gewesen, schwerkrank, und auch die regelmäßigen Briefe des lieben guten Henri genügen nicht, mich hinsichtlich Deines Befindens zu beruhigen. Man hat Dir zu schreiben untersagt – eine Feder in die Hand zu nehmen. Aber ein Wort von Dir, lieber Viktor, ist notwendig, um unsere Befürchtungen zu beschwichtigen. Lange Zeit habe ich gedacht, jeweils die nächste Post würde diese Zeilen bringen, und meine Überredungskünste haben meinen Onkel davon abgehalten, eine Reise nach Ingolstadt zu unternehmen. Ich habe verhindert, daß er die Unbequemlichkeiten und womöglich Gefahren einer so langen Reise auf sich nahm. Aber wie oft habe ich bedauert, sie nicht selbst antreten zu können! Ich male mir aus, daß die Aufgabe, an Deinem Krankenbett zu wachen, irgendeiner geldgierigen alten Pflegerin obliegt, die nie Deine Wünsche erraten oder sie mit der liebevollen Sorgfalt Deiner armen Kusine erfüllen könnte. Doch das ist nun vorbei: Clerval schreibt, daß es Dir wirklich besser geht. Ich hoffe sehnlichst, daß Du diese Nachricht bald in Deiner eigenen Handschrift bestätigst.
    Werde gesund – und kehre zu uns zurück. Du wirst ein glückliches, fröhliches Heim vorfinden und Freunde, die Dich herzlich lieben. Dein Vater ist bei guter Gesundheit, und ihm fehlt nur, Dich zu sehen – die Gewißheit zu haben, daß es Dir gut geht. Keine Sorge trübt dann mehr seine gütige Miene. Wie Du Dich freuen wirst, die Fortschritte festzustellen, die unser Ernst gemacht hat! Er ist jetzt sechzehn und voller Tatendrang und Feuer. Er wünscht sich, ein echter Schweizer zu werden und in ausländische Dienste zu treten; aber wir können uns nicht von ihm trennen, zumindest, bis sein älterer Bruder zu uns zurückkehrt. Mein Onkel ist

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