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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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zurückzuverhelfen. Die arme Frau war sehr wankelmütig in ihrer Reue. Manchmal bat sie Justine, ihr ihre Lieblosigkeit zu verzeihen, doch viel öfter beschuldigte sie sie, für den Tod ihrer Brüder und ihrer Schwester verantwortlich zu sein. Unter dem ständigen Harm begann Madame Moritz schließlich dahinzusiechen, wobei sich ihre Reizbarkeit zunächst steigerte, doch jetzt hat sie die ewige Ruhe gefunden. Sie starb beim ersten Kälteeinbruch zu Anfang des vergangenen Winters. Justine ist zu uns zurückgekehrt, und ich versichere Dir, ich habe sie herzlich lieb. Sie ist sehr gescheit und freundlich und außerordentlich hübsch. Wie ich schon erwähnte, erinnern mich ihre Züge und ihr Ausdruck ständig an meine liebe Tante.
    Ich muß Dir, mein lieber Vetter, auch noch ein paar Worte über den kleinen Schatz Wilhelm schreiben. Ich wünschte, Du könntest ihn sehen. Er ist sehr groß für sein Alter, mit lieben, lachenden blauen Augen, dunklen Wimpern und lockigem Haar. Wenn er lächelt, bilden sich auf beiden Wangen, die rosig sind vor Gesundheit, zwei kleine Grübchen. Er hat schon ein oder zwei Schätzchen gehabt, aber Louisa Biron hat er am liebsten, ein hübsches kleines Mädchen von fünf Jahren.
    Und nun, lieber Viktor, möchtest Du gewiß gern ein bißchen Klatsch über die guten Genfer erfahren. Die hübsche Miss Mansfield hat bereits die Gratulationsbesuche zu ihrer bevorstehenden Heirat mit einem jungen Engländer, John Melbourne, Esq. empfangen. Ihre häßliche Schwester, Manon, hat im vorigen Herbst M. Duvillard, den reichen Bankier, geheiratet. Dein bester Schulkamerad, Louis Manoir, hat seit Clervals Abreise aus Genf mehrmals Pech gehabt. Aber er hat sich schon wieder davon erholt und soll im Begriff sein, eine sehr lebhafte hübsche Französin, Madame Tavernier, zu heiraten. Sie ist Witwe und viel älter als Manoir, wird aber allgemein sehr bewundert und ist bei allen beliebt.
    Ich habe mich in bessere Stimmung hineingeschrieben, lieber Vetter; doch während ich schließe, kehrt meine Besorgnis zurück. Schreibe doch, lieber Viktor – eine Zeile, ein einziges Wort ist uns eine Wohltat. Zehntausendmal Dank an Henri für seine Güte, seine Liebe und seine vielen Briefe: wir sind ihm aufrichtig dankbar. Lebwohl, mein Vetter. Paß gut auf Dich auf, und, ich bitte Dich inständig, schreibe!
    Elisabeth Lavenza«
    »Liebe, liebe Elisabeth!« rief ich, als ich ihren Brief gelesen hatte. »Ich will sofort schreiben und sie alle von der Sorge befreien, die sie sicher empfinden.« Ich schrieb, und diese Anstrengung erschöpfte mich. Doch meine Genesung hatte eingesetzt und machte gleichmäßige Fortschritte. Zwei Wochen später war ich in der Lage, mein Zimmer zu verlassen.
    Eine meiner ersten Pflichten nach meiner Genesung war es, Clerval den verschiedenen Professoren des Lehrkörpers vorzustellen. Dabei machte ich Schlimmes durch, was den Wunden, die mein Gemüt davongetragen hatte, schlecht bekam. Seit jener verhängnisvollen Nacht, dem Ende meiner Mühen und dem Anfang meiner Leiden, hatte mich eine heftige Abneigung gegen das bloße Wort Wissenschaft erfaßt. Als ich sonst schon wieder ganz gesund war, ließ der Anblick einer chemischen Apparatur sogleich alle Qualen meiner nervösen Symptome wieder aufleben.
    Henri erkannte das und ließ alle Apparate aus meinem Blickfeld räumen. Er hatte auch mein Zimmer gewechselt, denn ihm war aufgefallen, daß ich einen Widerwillen gegen die Kammer zeigte, die vorher mein Laboratorium gewesen war. Doch diese Maßnahmen Clervals waren in den Wind geschlagen, als ich die Professoren besuchte. Herr Waldmann folterte mich, als er die erstaunlichen Fortschritte, die ich in der Wissenschaft gemacht hatte, mit freundlichen und warmen Worten würdigte. Er merkte bald, daß mir das Thema unangenehm war. Doch da er den wahren Grund nicht erriet, schrieb er das meiner Bescheidenheit zu und wechselte das Thema von meinen Fortschritten zur Wissenschaft selbst, wohinter ich seinen Wunsch erkannte, mich aus mir herauszulocken. Was konnte ich machen? Er meinte es gut, und er quälte mich. Mir war, als hätte er bedächtig eines nach dem anderen die Instrumente vor meinen Augen ausgebreitet, die später dazu dienen sollten, mich langsam und grausam umzubringen. Ich wand mich unter seinen Worten, wagte jedoch nicht zu offenbaren, welche Schmerzen ich litt. Clerval, dessen Augen und Gespür stets rasch die Empfindungen anderer erfaßten, wich dem Thema aus und führte zur

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