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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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Liebe zu mir überwand schließlich seine Abneigung gegen die Gelehrsamkeit, und er hat mir erlaubt, eine Entdeckungsreise in das Land des Wissens zu unternehmen.«
    »Ich freue mich ja so sehr, dich zu sehen, aber erzähle, wie hast du meinen Vater, meine Brüder und Elisabeth zurückgelassen?«
    »Sie sind wohlauf und glücklich, nur ein wenig beunruhigt, daß sie so selten von dir hören. Übrigens gedenke ich dir ihretwegen selbst eine kleine Strafpredigt zu halten – aber, mein lieber Frankenstein«, fuhr er fort, blieb stehen und sah mir voll ins Gesicht, »ich hatte noch gar nicht bemerkt, wie furchtbar schlecht du aussiehst, so schmal und blaß. Du siehst aus, als hättest du mehrere Nächte durchwacht.«
    »Du hast richtig geraten. Ich war in letzter Zeit so in eine Arbeit vertieft, daß ich mir nicht genug Ruhe gegönnt habe, wie du siehst. Aber ich hoffe, ich hoffe aufrichtig, daß alle diese Verrichtungen jetzt zu Ende sind und ich endlich frei bin.«
    Ich zitterte heftig, ich konnte es nicht ertragen, an die Vorfälle der vergangenen Nacht zu denken, noch viel weniger darüber zu sprechen. Ich schritt rasch aus, und bald kamen wir vor meinem Kollegium an. Dann überlegte ich, und der Gedanke ließ mich erschauern, das Wesen, das ich in meiner Wohnung zurückgelassen hatte, sei womöglich noch da, lebendig und in Bewegung. Ich hatte Angst, dieses Ungeheuer zu erblicken; doch noch mehr fürchtete ich, Henri könnte es sehen. Deshalb bat ich ihn, ein paar Minuten unten zu warten, und sprang die Treppe zu meiner Wohnung hinauf. Ich hatte die Hand schon am Türschloß, als ich mich besann. Da hielt ich inne, und ein Schüttelfrost überkam mich. Ich stieß die Tür heftig auf, wie Kinder es tun, wenn sie sich einbilden, daß auf der anderen Seite ein Gespenst auf sie warte; doch es war nichts zu sehen. Angstvoll trat ich ein: die Wohnung war leer, und auch mein Schlafzimmer war frei von seinem gräßlichen Gast. Ich konnte kaum fassen, daß mir ein solches Glück zuteil geworden war; als ich mich aber überzeugt hatte, daß mein Feind wirklich geflohen war, klatschte ich vor Freude in die Hände und rannte zu Clerval hinab.
    Wir stiegen in mein Zimmer hinauf, und bald brachte der Bediente das Frühstück. Aber ich vermochte mich nicht zu beherrschen. Es war nicht nur Freude, was mich erfüllte; ich spürte, wie mir die Haut vor Überempfindlichkeit prickelte, und mein Puls klopfte rasch. Ich war außerstande, auch nur einen Augenblick lang auf einem Platz zu bleiben. Ich sprang über die Stühle, klatschte in die Hände und lachte laut. Clerval schrieb meine ungewöhnliche Ausgelassenheit zunächst der Freude über sein Kommen zu. Doch als er mich aufmerksamer beobachtete, nahm er in meinen Augen eine Tollheit wahr, die er sich nicht erklären konnte. Und mein lautes, ungehemmtes, herzloses Gelächter verwunderte und erschreckte ihn.
    »Mein lieber Viktor«, rief er, »was ist um Gottes willen los? Lache doch nicht so. Wie krank du bist! Was hat das alles zu bedeuten?«
    »Frage mich nicht«, rief ich und hielt mir die Hände vor die Augen, denn ich glaubte das gefürchtete Gespenst ins Zimmer gleiten zu sehen; »er kann es dir sagen. – O rette mich! Rette mich!« Ich bildete mir ein, das Ungeheuer packte mich. Ich wehrte mich verzweifelt und stürzte in einem Anfall zu Boden.
    Der arme Clerval! Was muß er empfunden haben? Ein Wiedersehen, auf das er sich so gefreut hatte, war so überraschend in Bitterkeit umgeschlagen. Doch ich war kein Augenzeuge seines Kummers, denn ich lag wie leblos und kam lange, lange Zeit nicht mehr zu Bewußtsein.
    Das war der Anfang eines Nervenfiebers, das mich mehrere Monate lang ans Bett fesselte. Diese ganze Zeit über war Henri mein einziger Pfleger. Hinterher erfuhr ich, er habe in Anbetracht dessen, daß mein Vater bei seinem hohen Alter für eine so lange Reise untauglich war und Elisabeth angesichts meiner Krankheit sehr unglücklich gewesen wäre, ihnen diesen Kummer erspart und das Ausmaß meiner Erkrankung verschwiegen. Er wußte, daß ich keine gütigere und aufmerksamere Pflege als die seine finden konnte, und bei seiner festen Hoffnung auf meine Genesung stand es für ihn außer Zweifel, daß er, weit davon entfernt, einen Schaden anzurichten, ihnen die größte Freundlichkeit erwies, die in seiner Macht stand.
    Aber ich war tatsächlich schwerkrank. Und gewiß hätte mich nichts außer den grenzenlosen und unermüdlichen Hilfeleistungen meines Freundes

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