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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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Freude wahr und dachte darüber nach, auf welche Weise die Überreste meiner Schwermut am besten auszurotten waren, da sie doch hin und wieder durch einen Anfall wiederkehrten und mit allesverschlingendem Schwarz den nahenden Sonnenschein verhüllten. Zu diesen Zeiten flüchtete ich mich in die äußerste Einsamkeit. Ganze Tage verbrachte ich allein in einem kleinen Boot auf dem See, starrte in die Wolken und lauschte dem Murmeln der Wellen, stumm und apathisch. Doch die frische Luft und die strahlende Sonne verfehlten selten, mir ein gewisses Maß an Ruhe wiederzugeben. Und wenn ich zurückkam, ging ich mit bereitwilligerem Lächeln und leichterem Herzen auf die Begrüßung meiner Lieben ein.
    Nach meiner Rückkehr von einem solchen Ausflug rief mein Vater mich zu sich und richtete folgende Worte an mich:
»Ich bemerke mit Freuden, mein lieber Sohn, daß du deine früheren Zerstreuungen wieder aufgenommen hast und zu dir zurückzufinden scheinst. Und doch bist du immer noch bedrückt und gehst uns immer noch aus dem Weg. Eine Zeitlang konnte ich mir den Grund dafür gar nicht erklären. Aber gestern kam mir ein Gedanke, und wenn er begründet ist, beschwöre ich dich, es offen zu bekennen. In einem solchen heiklen Punkt wäre die Zurückhaltung nicht nur sinnlos, sondern würde dreifaches Herzeleid über uns bringen.«
Bei dieser Einleitung erbebte ich heftig, und mein Vater fuhr fort:
»Ich gestehe, mein Sohn, daß ich mich immer auf deine Heirat mit unserer lieben Elisabeth gefreut habe, als Festigung unserer häuslichen Behaglichkeit und als Stütze meines Alters. Von frühester Kindheit an hängt ihr aneinander. Ihr habt zusammen gelernt und schient in Charakter und Neigungen gänzlich zueinander zu passen. Doch so blind ist die menschliche Erfahrung, daß gerade das, was ich für die beste Unterstützung meines Plans hielt, ihn womöglich gänzlich vernichtet hat. Du betrachtest sie vielleicht als deine Schwester und hegst gar nicht den Wunsch, sie zur Frau zu bekommen. Nein, womöglich hast du sogar eine andere kennengelernt, die du liebst. Und da du dich ehrenhalber an Elisabeth gebunden fühlst, mag dieser innere Kampf die Ursache für den bitteren Kummer sein, den du offenbar in dir trägst.«
»Mein lieber Vater, du kannst beruhigt sein. Ich liebe meine Kusine zärtlich und aufrichtig. Ich habe nie eine Frau kennengelernt, die wie Elisabeth meine wärmste Bewunderung und Liebe erregt hätte. Meine künftigen Hoffnungen und Aussichten sind gänzlich mit der Erwartung unserer Heirat verknüpft.«
    »Was du über deine Gefühle in dieser Sache aussprichst, mein lieber Viktor, macht mir mehr Freude, als ich seit langem erlebt habe. Wenn das deine Empfindungen sind, werden wir ganz gewiß glücklich, wie sehr die jüngsten Ereignisse uns auch mit Düsternis überschatten. Doch eben diese Schwermut, die sich in deinem Gemüt so festgesetzt zu haben scheint, möchte ich zerstreuen. Sage mir also, ob du etwas gegen eine sofortige Eheschließung einzuwenden hast. Wir haben Unglück erlitten, und die Ereignisse der letzten Zeit haben uns aus jener gleichmäßigen Gemütsruhe gerissen, die meinem Alter und meiner Gebrechlichkeit gebührt. Du bist jünger, doch da du im Besitz eines ansehnlichen Vermögens bist, meine ich, daß eine frühe Heirat in keiner Weise künftigen ehrenvollen oder nützlichen Plänen entgegenstehen würde, die du dir vielleicht zurechtgelegt hast. Glaube aber nicht, daß ich dir den Weg zum Glück vorschreiben möchte oder daß ein von dir gewünschter Aufschub mir ernstliches Unbehagen verursachen würde. Nimm meine Worte sachlich auf und antworte mir, ich beschwöre dich, mit Vertrauen und Offenheit.«
    Ich hörte meinen Vater schweigend an und war noch eine Zeitlang außerstande, etwas zu erwidern. Ungezählte Gedanken ließ ich mir durch den Kopf gehen und bemühte mich, zu einem Schluß zu gelangen. Ach! Für mich barg der Gedanke einer sofortigen Heirat mit meiner Elisabeth nur Grauen und Bestürzung. Ich war durch ein feierliches Versprechen gebunden, das ich noch nicht erfüllt hatte und nicht zu brechen wagte. Oder, falls ich es bräche, welch vielfältiges Leid mochte drohend über mir und meiner liebevollen Familie schweben! Konnte ich mich auf eine Festlichkeit einlassen, solange mir dieses tödliche Gewicht noch am Hals hing und mich zu Boden zog? Ich mußte meine Verpflichtung erfüllen und das Ungeheuer mit seiner Gefährtin ziehen lassen, ehe ich mir selbst die Freude einer

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