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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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des Augenblicks leiten. Und gegenwärtig gab mir mein Gefühl ein, der Unhold werde mir folgen und meine Familie mit seinen Ränken verschonen.
Es war Ende September, als ich erneut mein Vaterland verließ. Meine Reise geschah auf meine eigene Anregung, deshalb schickte Elisabeth sich darein. Doch die Vorstellung, ich müsse fern von ihr die Wellen des Ansturms von Gram und Trübsal erdulden, erfüllte sie mit Unruhe. Ihrer Fürsorge war es zu verdanken, daß ich in Clerval einen Gefährten erhielt – und doch ist ein Mann blind gegenüber tausend winzigen Umständen, die die Aufmerksamkeit einer Frau wachrufen. Sie hätte mich so gern gebeten, so rasch wie möglich zurückzukommen – tausend widersprüchliche Gefühle ließen sie verstummen, als sie tränenreich und wortlos von mir Abschied nahm.
    Ich warf mich in die Kutsche, die mich davontragen sollte, wußte kaum, wohin es ging, und achtete nicht darauf, was sich um mich herum abspielte. Ich erinnerte mich nur noch rechtzeitig daran, und der Gedanke war mit bitterer Qual verknüpft, meine chemischen Instrumente einpacken und im Reisegepäck mit mir auf den Weg gehen zu lassen: Von düsteren Vorstellungen erfüllt, durchfuhr ich viele schöne und majestätische Landschaften, doch meine Augen blickten starr und nahmen nichts wahr. Ich konnte nur an das Ziel meiner Reise denken und an die Arbeit, die mich beschäftigen sollte, solange sie dauern mochte.
    Nachdem ich in matter Gleichgültigkeit mehrere Tage verbracht und zugleich viele Meilen zurückgelegt hatte, kam ich in Straßburg an, wo ich zwei Tage auf Clerval wartete. Er kam. Ach, wie groß war der Gegensatz zwischen uns! Er war für jedes neue Landschaftsbild empfänglich. Freudig bewegt, wenn er die Schönheit des Sonnenuntergangs beobachtete, und noch glücklicher, wenn er die Sonne aufgehen und einen neuen Tag beginnen sah. Er machte mich auf die wechselnden Farben des Panoramas und die mannigfaltigen Bilder des Himmels aufmerksam. »Das nenne ich Leben!« rief er. »Jetzt genieße ich das Dasein! Aber du, mein lieber Frankenstein, warum bist du so niedergeschlagen und bedrückt!« Wirklich war ich mit düsteren Gedanken beschäftigt und sah weder das Sinken des Abendsterns noch den goldenen Sonnenaufgang, der sich im Rhein spiegelte. Und Sie, mein Freund, hätten sich viel mehr an Clervals Tagebuch ergötzt, der die Landschaft mit einem empfindsamen und entzückten Auge in sich aufnahm, als an meinen Betrachtungen, die Sie sich anhören. Ich, ein elender Unglückswurm, heimgesucht von einem Fluch, der mir jeden Zugang zur Freude versperrte.
    Wir hatten uns geeinigt, mit dem Boot rheinabwärts von Straßburg nach Rotterdam zu fahren, wo wir uns nach London einschiffen könnten. Auf, dieser Flußfahrt kamen wir an vielen weidenbestandenen Inseln vorbei und sahen mehrere schöne Städte. Einen Tag hielten wir uns in Mannheim auf, und am fünften nach unserer Abreise von Straßburg trafen wir in Mainz ein. Unterhalb von Mainz wird der Lauf des Rheins sehr viel malerischer. Der Fluß hat eine starke Strömung und windet sich zwischen nicht so sehr hohen als steilen und wohlgebildeten Bergen dahin. Am Rande von Steilhängen sahen wir zahlreiche Burgruinen stehen, von dunklen Wäldern umgeben, hoch und unzugänglich. Dieser Teil des Rheins bietet in der Tat eine einzigartig vielgestaltige Landschaft. An einer Stelle sieht man schroffe Berge, Burgruinen über mächtigen Steilufern, zu deren Füßen der dunkle Rhein vorbeiströmt; und nach einer unvermittelten Wendung um ein Vorgebirge beherrschen üppige Weinberge an grünen Uferhängen, ein vielgewundener Flußlauf und dichtbevölkerte Städte das Bild.
    Wir reisten zur Zeit der Weinlese, und während wir den Strom hinabglitten, hörten wir dem Gesang der Winzer zu. Sogar ich mit meinem bedrückten Sinn und ständig von düsteren Regungen aufgewühlten Gemüt fand Gefallen daran. Ich lag auf dem Boden des Nachens, und als ich in den wolkenlosen blauen Himmel blickte, schien ich eine Ruhe in mich einzusaugen, die mir seit langem fremd gewesen war. Und wenn das schon meine Empfindungen waren, wer kann die Henris beschreiben? Er fühlte sich ins Märchenland versetzt und genoß ein Glück, wie es ein Mensch selten zu kosten bekommt. »Ich kenne die schönsten Landschaften meines Vaterlands«, sagte er, »ich habe die Seen bei Luzern und Uri gesehen, wo die Schneeberge beinahe senkrecht ins Wasser abfallen und schwarze, undurchdringliche Schatten werfen, die

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