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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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einen finsteren und traurigen Eindruck machen würden, wären da nicht die blühendsten Inseln, die das Auge mit ihrem heiteren Anblick erfreuen; ich habe diesen See von einem gewaltigen Sturm aufgewühlt gesehen, als der Wind das Wasser in Wirbeln emporriß und mir einen Begriff davon gab, was die Wasserhose auf dem gewaltigen Ozean bedeuten muß. Und die Wellen schlagen wütend auf den Fuß des Berges ein, wo eine Lawine den Priester und seine Mätresse verschüttet hat und wo ihre Todesschreie während der Atempausen der mächtigen Winde immer noch zu hören sein sollen: aber dieses Land hier, Viktor, gefällt mir besser als alle jene Wunder. Die Berge der Schweiz sind majestätischer und zurückhaltender, aber die Ufer dieses herrlichen Flusses besitzen einen Zauber, desgleichen ich nie zuvor erlebt habe. Sieh die Burg, die dort über dem Steilhang aufragt, und die auf der Insel, die fast verborgen im Laub dieser schönen Bäume steht. Und jetzt diese Gruppe Winzer, die aus ihren Weinbergen kommen, und das Dorf dort, halbverborgen hinter dem Vorsprung des Berges. Oh, sicherlich besitzt der Geist, der diese Gegend bewohnt und behütet, eine Seele, die mehr mit der des Menschen in Einklang steht als die jener anderen, die den Gletscher auftürmen oder sich auf die unzugänglichen Gipfel der Berge unseres eigenen Vaterlandes zurückziehen.«
    Clerval! Liebster Freund! Selbst jetzt noch macht es mir Freude, deine Worte wiederzugeben und mich bei dem Lob aufzuhalten, das du in so hervorragendem Maße verdienst. Er war ein nach der »wahren Poesie der Natur« geschaffener Mensch. Seine überschießende und schwärmerische Phantasie lag am Zügel des Zartgefühls seines Herzens. Seine Seele floß über von glühenden Zuneigungen, und seine Freundschaft war von jener wunderbaren hingebenden Art, die wir nach den Lehren der weltlich Gesinnten nur in der Vorstellungskraft suchen dürfen. Doch nicht einmal die menschliche Harmonie genügte zur Befriedigung seines aufgeschlossenen Gemüts. Die Ansicht der äußeren Natur, die andere nur mit Bewunderung betrachten, liebte er heiß und innig:
    Der laute Wasserfall
verfolgte ihn gleich einer Leidenschaft: der hohe Fels, der Berg, der düstre Wald, sie wurden ihm mit Farbe und Gestalt zum Verlangen; zu Gefühl, zu Liebe, die weiterer Verzauberung nicht bedarf, von Denken oder Reizen angeregt, die nicht entlehnt vom Sehn.
    Und wo existiert er jetzt? Ist dieser freundliche und liebenswürdige Mensch für immer verloren? Ist dieser Geist, der, so übervoll von Gedanken, phantasiereichen und großartigen Vorstellungen, eine Welt schuf, deren Existenz vom Leben ihres Schöpfers abhing – ist dieser Geist zugrunde gegangen? Existiert er jetzt nur noch in meiner Erinnerung? Nein, so ist es nicht. Deine so göttlich gebildete Gestalt, vor Schönheit strahlend, ist verwest, doch dein Geist besucht noch immer deinen unglücklichen Freund und bringt ihm Trost.
    Verzeihen Sie mir diesen Erguß der Trauer. Diese schwachen Worte sind nur ein geringer Tribut an den beispiellosen Wert Henris, doch sie trösten mir das Herz, das von dem Schmerz der Erinnerung an ihn überfließt. Ich will in meiner Erzählung fortfahren.
    Hinter Köln gelangten wir zu den Ebenen Hollands, und wir beschlossen, den Rest unseres Weges mit der Postkutsche zurückzulegen, denn der Wind war widrig und die Strömung des Flusses zu schwach, um uns voranzubringen.
    Hier verlor unsere Reise den Reiz, der aus der schönen Landschaft erwuchs. Doch wir erreichten in wenigen Tagen Rotterdam, von wo wir nach England übersetzten. Es war an einem klaren Morgen in den letzten Septembertagen, als ich zum ersten Mal Britanniens weiße Klippen erblickte. Die Ufer der Themse boten ein neues Bild: sie waren flach, aber fruchtbar, und fast jede Stadt zeichnete sich durch die Erinnerung an irgendein Vorkommnis aus. Wir sahen die Festung Tilbury und dachten an die spanische Armada, Gravesend, Woolwich und Greenwich, Orte, von denen ich sogar in meiner Heimat gehört hatte.
    Endlich erblickten wir Londons zahlreiche Türme, die Paulskirche, die alle überragte, und den in der englischen Geschichte berühmt gewordenen Tower.

Neunzehntes Kapitel
    London war unser vorläufiger Aufenthalt. Wir nahmen uns vor, mehrere Monate in dieser wunderbaren und berühmten Stadt zu bleiben. Clerval verlangte es nach dem Umgang mit den Männern von Genie und Talent, die damals in aller Munde waren; doch das war bei mir ein zweitrangiges Ziel.
    Ich war

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