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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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einzuhalten. Womöglich haßten sie einander sogar. Das Geschöpf, das bereits lebte, verabscheute seine eigene Mißgestalt, und könnte ihn nicht noch größere Abscheu davor erfassen, wenn sie ihm in weiblicher Form vor Augen käme? Auch sie mochte sich angewidert von ihm abwenden und der überlegenen Schönheit des Menschen zuneigen; sie könnte ihn verlassen, und er wäre wieder allein, aufgebracht und verbittert durch die neue Kränkung, von einem Geschöpf seiner eigenen Gattung verschmäht zu werden.
    Selbst wenn sie aus Europa verschwänden und sich in den Einöden der Neuen Welt niederließen: eine der ersten Folgen jener Sympathien, nach denen der Dämon dürstete, wären Kinder, und ein Geschlecht von Teufeln würde sich auf der Welt ausbreiten, das das bloße Dasein des Menschengeschlechts gefährden und nur unter schrecklichen Bedingungen gestatten würde. Hatte ich das Recht, um meines eigenen Vorteils willen endlosen Generationen diesen Fluch aufzuladen? Damals hatten mich die Sophistereien des von mir geschaffenen Wesens gerührt; seine teuflischen Drohungen hatten mich um den Verstand gebracht. Doch nun ging mir mit einem Schlage zum ersten Mal die Verruchtheit meines Versprechens auf. Mich schauderte bei dem Gedanken, zukünftige Generationen könnten mich als ihre Geißel verfluchen, mich, der in seiner Selbstsucht nicht davor zurückgeschreckt war, womöglich zum Preis der Existenz der ganzen Menschheit den eigenen Frieden zu erkaufen.
    Ich erschauerte, und das Herz stockte mir; als ich aufsah, erblickte ich beim Licht des Mondes den Dämon am Fenster. Ein gräßliches Grinsen verzerrte seine Lippen, als er mich betrachtete, wie ich dasaß und die Aufgabe erfüllte, die er mir aufgetragen hatte. Ja, er war mir auf meinen Reisen gefolgt; er hatte in Wäldern gelauert, sich in Höhlen verborgen oder in weiten, menschenleeren Heidelandschaften Zuflucht gesucht, und jetzt kam er, um meine Fortschritte zu kontrollieren und die Erfüllung meines Versprechens zu fordern.
    Als ich ihn ansah, sprach aus seiner Miene äußerste Bosheit und schlimmster Verrat. Mit dem Gefühl nahenden Wahnsinns dachte ich an mein Versprechen, noch ein Wesen gleich ihm zu schaffen, und bebend vor Erregung riß ich das Ding auseinander, an dem ich arbeitete. Das Scheusal sah, wie ich das Geschöpf zerstörte, von dessen zukünftiger Existenz sein Glück abhing, und vor Verzweiflung und teuflischem Rachedurst aufheulend verschwand es.
    Ich verließ den Raum, schloß die Tür ab und gelobte feierlich in meinem Herzen, meine Arbeit nie wieder aufzunehmen. Dann begab ich mich mit schwankenden Schritten in meine eigene Kammer. Ich war allein. Niemand war bei mir, die Schwermut zu zerstreuen und mich von der zermürbenden Beklemmung der fürchterlichsten Phantasien zu erlösen.
    Es vergingen mehrere Stunden, und ich verharrte an meinem Fenster und blickte auf das Meer hinaus; es war nahezu glatt, denn der Wind hatte sich gelegt, und die gesamte Natur ruhte unter dem Auge des stillen Mondes. Nur ein paar Fischerboote lagen auf dem Wasser, und dann und wann wehte die sanfte Brise den Klang von Stimmen heran, wenn die Fischer einander etwas zuriefen. Ich spürte die Stille, obwohl ich kaum gewahrte, wie tief sie war, bis mein Ohr unversehens nahe am Ufer das Plätschern von Rudern vernahm und jemand dicht bei meinem Haus landete.
    Wenige Minuten darauf hörte ich meine Tür knarren, als bemühe sich jemand, sie leise zu öffnen. Ich erbebte von Kopf bis Fuß; ich hatte eine Vorahnung, wer es sei, und hätte gern einen der Bauern geweckt, die in einer Kate unweit der meinen wohnten; doch mich übermannte das Gefühl der Hilflosigkeit, das man so oft in Alpträumen erlebt, wenn man sich vergeblich abmüht, einer drohenden Gefahr zu entfliehen, und ich blieb wie angewurzelt stehen.
    Dann hörte ich Schritte auf dem Flur; die Tür ging auf, und das gefürchtete Scheusal erschien. Er schloß die Tür, trat zu mir und sagte mit erstickter Stimme:
    »Du hast das Werk zerstört, das du begonnen hast: was hast du vor? Wagst du es, dein Wort zu brechen? Ich habe Mühe und Qual ertragen; ich habe die Schweiz mit dir verlassen; ich bin die Ufer des Rheins entlanggeschlichen, zwischen den weidenbestandenen Inseln und über die Kuppen der Berge. Viele Monate lang habe ich in den Heiden Englands und den Einöden Schottlands gehaust. Ich habe unsagbare Erschöpfung und Kälte und Hunger ertragen; und du wagst es, nun meine Hoffnungen zu

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