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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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Gefühle sind ständig angespannt. Und wenn er anfängt, zur Ruhe zu kommen, sieht er sich gezwungen, eine Stätte, wo er beglückt rastet, zugunsten, etwas Neuen zu verlassen, das wieder seine Aufmerksamkeit fesselt und das er auch wieder um anderer Neuheiten willen im Stich läßt.
    Wir hatten kaum die verschiedenen Seen Cumberlands und Westmorlands besucht und Zuneigung für etliche dort Ansässige gefaßt, da rückte die Zeit der Verabredung mit unserem schottischen Freund heran, und wir verließen sie, um weiterzureisen. Ich für mein Teil bedauerte das nicht. Ich hatte jetzt eine Zeitlang mein Versprechen vernachlässigt und fürchtete die Folgen der Enttäuschung des Dämons. Womöglich war er noch in der Schweiz und ließ seine Rache an meinen Verwandten aus. Dieser Gedanke verfolgte und folterte mich in jedem Augenblick, dem ich sonst flüchtige Ruhe und Frieden hätte abgewinnen können. Mit fieberhafter Ungeduld wartete ich auf meine Briefe: verspäteten sie sich, war mir elend, und tausend Ängste überfielen mich. Und wenn sie eintrafen und ich Elisabeths oder meines Vaters Schrift erkannte, wagte ich kaum, sie zu lesen und mein Schicksal zu erfahren. Manchmal dachte ich, der Unhold folge mir und könnte meine Säumigkeit zur Eile antreiben, indem er meinen Gefährten umbrachte. Wenn diese Gedanken von mir Besitz ergriffen, ließ ich Henri keinen Augenblick allein, sondern folgte ihm wie ein Schatten, um ihn vor der in meiner Einbildung erlebten Wut seines Mörders zu schützen. Mir war, als hätte ich ein ungeheures Verbrechen begangen, und dieses Bewußtsein verfolgte mich. Ich war unschuldig, doch hatte ich in der Tat einen fürchterlichen Fluch auf mein Haupt herabbeschworen, so tödlich wie den des Verbrechens.
    Edinburgh besuchte ich mit matten Augen und Sinnen, und doch hätte diese Stadt den unglücklichsten Menschen interessieren können. Clerval gefiel es nicht so gut wie Oxford, denn der altertümliche Charakter letzterer Stadt sagte ihm mehr zu. Doch die Schönheit und Regelmäßigkeit der neuen Stadtteile Edinburghs, sein romantisches Schloß und seine Umgebung, die herrlichste der Welt, der Arturssitz, die Sankt-BernardsQuelle und die Pentlandhügel entschädigten ihn für den Ortswechsel und erfüllten ihn mit Freude und Bewunderung. Ich jedoch strebte ungeduldig dem Ende meiner Reise zu.
    Nach einer Woche verließen wir Edinburgh und reisten durch Coupar, St. Andrews und an den Ufern des Tay entlang nach Perth, wo unser Freund uns erwartete. Ich befand mich jedoch durchaus nicht in der Verfassung, mit Fremden zu lachen und zu plaudern oder so gut aufgelegt, wie man es von einem Gast erwartet, auf ihre Stimmungen und Pläne einzugehen. Deshalb eröffnete ich Clerval, ich wolle die Reise durch Schottland am liebsten allein machen. »Amüsiere du dich«, sagte ich, »und wir treffen uns hier wieder. Ich bleibe vielleicht ein, zwei Monate aus. Aber ich bitte dich dringend, komme mir nicht in die Quere: laß mich kurze Zeit in Frieden und Einsamkeit allein, und wenn ich zurückkomme, dann hoffentlich mit leichterem Herzen, wie es deiner Gemütslage besser entspricht.«
    Henri wollte mich umstimmen. Doch als er sah, daß ich zu diesem Plan entschlossen war, machte er keine Einwände mehr. Er bat mich, ihm oft zu schreiben. »Ich wäre lieber bei dir auf deinen einsamen Streifzügen«, sagte er, »als mit diesen Schotten zusammen, die ich nicht kenne. Komm also recht bald zurück, lieber Freund, damit ich mich wieder einigermaßen heimisch fühle, was mir in deiner Abwesenheit nicht möglich ist.«
    Nachdem ich mich von meinem Freund getrennt hatte, faßte ich den Entschluß, eine abgelegene Ecke Schottlands aufzusuchen und in Einsamkeit mein Werk zu vollenden. Ich zweifelte nicht daran, daß das Ungeheuer mir folge und sich mir zeigen würde, sobald ich fertig wäre, um seine Gefährtin zu empfangen.
    Mit diesem Vorsatz durchreiste ich das nördliche Hochland und wählte eine der entlegensten Orkneyinseln zum Schauplatz meiner Arbeit. Für ein solches Werk war es der angemessene Ort, denn es war kaum mehr als ein Felsen, an dessen hohe Seiten beständig die Wogen brandeten. Der Boden war karg, bot kaum Weide für ein paar knochige Kühe und Hafermehl für die Bewohner. Das waren fünf Personen, deren hagere und dürre Gliedmaßen von ihrer kümmerlichen Nahrung kündeten. Gemüse und Brot, wenn sie sich einen derartigen Luxus gönnten, sogar das Trinkwasser, mußten vom Festland geholt werden,

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