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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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kahlen Felsen verbringen, beschwerlich, gewiß, jedoch nicht vom plötzlichen Schock des Unglücks aufgestört. Wenn ich zurückkehrte, dann, um geopfert zu werden oder um jene, die ich am meisten liebte, im Griff eines Dämons sterben zu sehen, den ich selbst geschaffen hatte.
    Ich irrte auf der Insel herum wie ein rastloses Gespenst, von allen, die es liebte, getrennt und unter der Trennung leidend. Als es auf Mittag zuging und die Sonne hoch am Fimmel stand, legte ich mich ins Gras, und ein tiefer Schlaf übermannte mich. Ich hatte die ganze vorige Nacht durchwacht, meine Nerven waren aufgewühlt und meine Augen entzündet von Gram und Übernächtigung. Der Schlaf, in den ich jetzt sank, erfrischte mich, und als ich erwachte, fühlte ich mich wieder einem Geschlecht von Menschen meinesgleichen zugehörig, und ich begann mit größerer Fassung darüber nachzudenken, was vorgegangen war. Doch immer noch klangen mir die Worte des Unholds wie eine Totenglocke in den Ohren, sie schienen mir wie ein Traum, jedoch so deutlich und bedrückend wie die Wirklichkeit.
    Die Sonne war tief herabgesunken, und ich saß immer noch am Ufer und stillte meinen Hunger, der wahrhaft grimmig geworden war, mit einem Hafermehlfladen, als ich ein Fischerboot in meiner Nähe landen sah, und einer der Männer brachte mir ein Päckchen: es enthielt Briefe aus Genf und einen von Clerval, der mich dringend bat, zu ihm zurückzukommen. Er schrieb, dort, wo er sei, vergeude er nutzlos seine Zeit. Freunde, die er in London gefunden hatte, hätten brieflich den Wunsch nach seiner Rückkehr geäußert, damit er die Verhandlungen abschließen könne, die sie im Interesse seiner indischen Unternehmung eingeleitet hätten. Er könne seine Abreise nicht länger aufschieben. Doch da auf die Fahrt nach London die lange Seereise vielleicht früher, als er jetzt vermute, folgen könne, bitte er mich flehentlich, ihm so viel von meiner Gesellschaft zu schenken, wie ich nur ermöglichen könne. Er beschwöre mich deshalb, meine einsame Insel zu verlassen und ihn in Perth zu treffen, damit wir miteinander nach Süden fahren könnten. Dieser Brief rief mich in gewissem Grade ins Leben zurück, und ich beschloß, nach Ablauf von zwei Tagen meine Insel zu verlassen.
    Doch bevor ich abreiste, hatte ich eine Aufgabe zu erledigen, an die ich nur mit Schaudern dachte: ich mußte meine chemischen Instrumente einpacken. Und zu diesem Zweck mußte ich das Zimmer betreten, das der Schauplatz meiner verhaßten Arbeit gewesen war, und mußte jene Geräte in die Hand nehmen, bei deren Anblick mir übel wurde. Am nächsten Morgen bei Tagesanbruch raffte ich allen Mut zusammen und schloß die Tür zu meinem Laboratorium auf. Die Überreste des halbfertigen Geschöpfs, das ich vernichtet hatte, lagen auf dem Boden verstreut herum, und mir war fast, als hätte ich das lebendige Fleisch eines menschlichen Wesens zerfetzt. Ich blieb stehen, um mich zu sammeln, und betrat dann die Kammer. Mit zitternder Hand holte ich die Instrumente aus dem Zimmer. Doch ich bedachte, daß ich die Überbleibsel meiner Arbeit nicht zurücklassen durfte, die den Schrecken und den Verdacht der Bauern erregen mußten. Also legte ich sie zusammen mit einer Menge Steine in einen Korb und stellte ihn beiseite mit der Absicht, diesen noch in derselben Nacht ins Meer zu werfen. Inzwischen setzte ich mich an den Strand, damit beschäftigt, meine chemischen Apparaturen zu reinigen und zu ordnen.
    Der Wandel konnte kaum vollständiger sein, den meine Gefühle seit der Nacht des Erscheinens des Dämons durchgemacht hatten. Davor hatte ich mein Versprechen mit düsterer Verzweiflung als etwas betrachtet, das ohne Rücksicht auf die Folgen zu erfüllen sei. Doch jetzt war mir, als wäre ein Schleier von meinen Augen gewichen und ich sähe zum ersten Mal klar. Die Vorstellung, meine Arbeit wieder aufzunehmen, kam mir nicht einmal für Sekunden. Die Drohung, die ich vernommen hatte, lastete auf meinen Gedanken, doch ich zog gar nicht in Betracht, daß eine freiwillige Handlung meinerseits sie abwenden könne. Ich war zu der Erkenntnis gelangt, noch einen Unhold wie den zu schaffen, den ich bereits herangeformt hatte, wäre ein Akt der gemeinsten und abscheulichsten Selbstsucht, und ich wies jeden Gedanken weit von mir, der zu einer anderen Schlußfolgerung hätte führen können.
    Zwischen zwei und drei Uhr morgens ging der Mond auf. Da setzte ich meinen Korb in ein schmales Boot und segelte etwa vier Meilen weit

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