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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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das etwa fünf Meilen entfernt lag.
    Auf der ganzen Insel gab es nur drei elende Hütten, und eine stand gerade leer, als ich eintraf. Diese mietete ich. Sie enthielt nur zwei Räume, und diese boten alle Dürftigkeit der jämmerlichsten Not dar. Das Strohdach war eingesunken, die Mauern waren unverputzt, und die Tür war aus den Angeln gefallen. Ich ließ sie reparieren, kaufte ein paar Möbelstücke und zog ein. Ein Vorgang, der gewiß einiges Aufsehen erregt hätte, hätten nicht die Not und die schäbige Armut alle Sinne der Häusler betäubt. So aber lebte ich dort, ohne angestarrt und belästigt zu werden, ja, man dankte mir kaum für das bißchen Nahrung und Kleidung, das ich ihnen verschaffte; so sehr stumpft das Leiden sogar die gewöhnlichsten Empfindungen der Menschen ab.
    In diesem Unterschlupf widmete ich den Vormittag der Arbeit. Am Abend aber wanderte ich, wenn das Wetter es zuließ, am felsigen Meeresufer entlang, um den Wellen zuzuhören, wie sie zu meinen Füßen tosten und brandeten. Es war eine gleichförmige und doch immer wechselnde Szene. Ich dachte an die Schweiz; sie war so ganz anders als diese öde und schauerliche Landschaft. Ihre Hügel sind mit Reben bedeckt, und über ihre Ebenen sind zahllose Bauernhäuser verstreut. Ihre klaren Seen spiegeln einen blauen und milden Himmel wider. Und wenn sie vom Wind aufgewühlt sind, ist ihr Aufruhr nur wie das Spiel eines mutwilligen Kindes, verglichen mit dem Gebrüll des riesigen Ozeans.
    Auf diese Weise teilte ich gleich nach meiner Ankunft den Tag auf. Doch als ich in meiner Arbeit fortschritt, wurde sie mir täglich widerwärtiger und beschwerlicher. Manchmal konnte ich mich tagelang nicht dazu überwinden, mein Laboratorium zu betreten, dann wieder plackte ich mich Tag und Nacht ab, um mein Werk zu Ende zu bringen. Es war wirklich ein schmutziger Vorgang, mit dem ich mich befaßte. Bei meinem ersten Experiment hatte mich eine Art rasender Begeisterung blind gegenüber dem Grauenvollen meiner Tätigkeit gemacht. Meine Gedanken waren ausschließlich auf die Vollendung meiner Arbeit konzentriert und meine Augen vor dem Schauerlichen meiner Handlungen verschlossen gewesen. Doch jetzt ging ich kalten Blutes daran, und mein Herz ekelte sich oft vor dem Werk meiner Hände.
    In dieser Lage, mit der widerwärtigsten Beschäftigung befaßt, in eine Einsamkeit versunken, wo nichts auch nur einen Augenblick lang meine Aufmerksamkeit von der tatsächlichen Situation abzulenken vermochte, mit der ich befaßt war, geriet meine Gemütsverfassung aus dem Gleichgewicht. Ich wurde rastlos und nervös. Jeden Moment fürchtete ich meinem Verfolger zu begegnen. Manchmal saß ich da, die Augen an den Boden geheftet, und wagte nicht, sie zu erheben, damit sie nicht etwa dem Anblick begegneten, vor dem mir so sehr bangte. Ich hatte Angst, mich aus dem Blickfeld meiner Mitmenschen zu entfernen, damit er nicht, wenn ich allein wäre, seine Gefährtin zu fordern käme.
    Inzwischen arbeitete ich weiter, und mein Werk war bereits erheblich fortgeschritten. Ich sah mit hoffnungsvoll ungeduldiger, bebender Erwartung seiner Vollendung entgegen, einer Erwartung, die ich nicht näher zu prüfen wagte, war sie doch mit nebelhaften bösen Vorahnungen verquickt, die mir das Herz im Busen schwermachten.

Zwanzigstes Kapitel
    Eines Abends saß ich in meinem Laboratorium. Die Sonne war untergegangen, und der Mond stieg gerade aus der See auf. Ich hatte nicht genug Licht für meine Arbeit und saß untätig da, machte eine Pause und überlegte, ob ich meine Arbeit über Nacht liegenlassen oder mit unablässigem Fleiß ihren Abschluß beschleunigen sollte. Wie ich so dasaß, ging mir eine Kette von Gedanken durch den Sinn und ließ mich eingehender die Folgen dessen erwägen, was ich da gerade tat. Drei Jahre vorher hatte ich mich der gleichen Arbeit gewidmet und einen Unhold geschaffen, dessen unvergleichliche Grausamkeit mein Herz zerstört und für immer mit bitterer Reue erfüllt hatte. Jetzt war ich im Begriff, ein weiteres Wesen zu bilden, dessen Veranlagung ich genausowenig kannte. Sie mochte noch zehntausendmal bösartiger als ihr Gefährte werden und sich an Mord und Unglück um seiner selbst willen weiden. Er hatte geschworen, die Nähe der Menschen zu fliehen und sich in Einöden zu verbergen. Sie jedoch nicht; und sie, die aller Wahrscheinlichkeit nach ein denkendes und vernunftbegabtes Tier werden würde, könnte sich weigern, ein vor ihrer Erschaffung getroffenes Abkommen

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