Frankenstein
Stille und Vergessen gesunken? Der Tod rafft so viele blühende Kinder dahin, die einzige Hoffnung ihrer liebenden Eltern. Wie viele Bräute und junge Liebende haben an einem Tag in der Blüte der Gesundheit und Hoffnung gestanden und sind am nächsten den Würmern und der Verwesung des Grabes zum Opfer gefallen! Aus welchem Stoff war ich geschaffen, daß ich so vielen Erschütterungen widerstehen konnte, die, wie die Umdrehung eines Rades, die Folter beständig erneuerten?
Doch ich war dazu verurteilt, am Leben zu bleiben. Und nach zwei Monaten fand ich mich, wie aus einem Traum erwachend, in einem Gefängnis wieder, auf einer elenden Bettstatt ausgestreckt, von Wärtern, Schließern und all dem elenden Zubehör eines Kerkers umgeben. Es war Morgen, entsinne ich mich, als ich so zum Bewußtsein erwachte: ich hatte vergessen, was im einzelnen geschehen war, sondern hatte nur das Gefühl, daß mich unversehens ein großes Unglück überwältigt habe. Doch als ich mich umsah und die vergitterten Fenster erblickte und die Kahlheit des Raumes, in dem ich mich befand, blitzte alles in meinem Gedächtnis auf, und ich stöhnte bitterlich.
Dieser Laut weckte eine alte Frau, die in einem Sessel neben mir schlief. Sie war eine gedungene Krankenwärterin, die Frau eines Schließers, und aus ihrem Gesicht sprachen alle jene schlechten Eigenschaften, die diesen Stand so oft kennzeichnen. Ihre Züge waren hart und grob, wie bei Menschen, die es gewöhnt sind, Bilder des Jammers zu sehen, ohne Anteil zu nehmen. Ihr Ton drückte völlige Gleichgültigkeit aus. Sie sprach mich auf Englisch an, und ich erkannte ihre Stimme als eine derer wieder, die ich während meiner Krankheit gehört hatte:
»Geht es Ihnen wieder besser, Sir?« fragte sie.
Ich antwortete mit schwacher. Stimme in derselben Sprache: »Ich glaube. Aber wenn es alles wahr ist, wenn ich wirklich nicht geträumt habe, bedaure ich, daß ich noch am Leben bin, um all dieses Unglück und Grauen zu fühlen.«
»Was das anbetrifft«, antwortete die Alte, »wenn Sie von dem Herrn sprechen, den Sie ermordet haben, wäre es für Sie wohl besser, Sie wären tot, denn ich glaube, Ihnen wird es schlecht gehen! Aber das hat mich nicht zu kümmern. Ich soll sie pflegen und gesundmachen. Ich tue meine Pflicht mit ruhigem Gewissen, es wäre gut, wenn jeder das täte.«
Ich wandte mich mit Abscheu von der Frau ab, die so gefühllose Worte an einen soeben vom Rande des Todes geretteten Menschen richten konnte, doch ich war zu matt und außerstande, über all das nachzudenken, was geschehen war. Der ganze Verlauf meines Lebens erschien mir wie ein Traum. Manchmal bezweifelte ich, ob auch alles wahr sei, denn es stellte sich meinem Sinn nie mit dem Nachdruck der Wirklichkeit dar.
Als die Bilder, die vor mir schwebten, deutlicher wurden, stieg mein Fieber. Dunkelheit umschloß mich. Niemand war bei mir, der mich mit der sanften Stimme der Liebe beschwichtigt hätte. Keine liebende Hand stützte mich. Der Arzt kam und verschrieb Arzneien, und die alte Frau bereitete sie für mich zu. Doch ersterem war die äußerste Gleichgültigkeit anzumerken, und im Gesicht der letzteren zeichnete sich deutlich der Ausdruck der Roheit ab. Wer konnte sich für das Schicksal eines Mörders interessieren, abgesehen vom Henker, der seinen Lohn dafür bekommen würde?
Das waren meine ersten Überlegungen; doch bald erfuhr ich, daß Mr. Kirwin mir äußerste Güte erwiesen hatte. Er hatte mir den besten Raum im Gefängnis herrichten lassen (der beste war wahrlich erbärmlich genug); er war es auch, der für einen Arzt und eine Pflegerin gesorgt hatte. Gewiß, er besuchte mich selten, denn obwohl er die Leiden jedes menschlichen Wesens zu lindern bestrebt war, mochte er nicht bei den qualvollen, schändlichen Rasereien eines Mörders zugegen sein. Deshalb kam er manchmal, um nachzusehen, ob man mich nicht vernachlässigte; doch seine Besuche waren kurz und geschahen in langen Abständen.
Eines Tages, während ich mich allmählich erholte, saß ich auf einem Stuhl, die Augen halb geschlossen und die Wangen bleich wie der Tod. Ich war von Schwermut und Pein überwältigt und dachte oft genug, ich täte besser daran, den Tod zu suchen, als in einer Welt bleiben zu wollen, die für mich von Gram erfüllt war. Einmal überlegte ich, ob ich mich nicht schuldig bekennen und die Strafe des Gesetzes erleiden sollte, weniger unschuldig, als es die arme Justine gewesen war. Solcherart waren meine Gedanken, als die
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