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Frankenstein

Frankenstein

Titel: Frankenstein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Wollstonecraft Shelley
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flüsterten sie untereinander, und zwar mit Gesten, die zu jeder anderen Zeit in mir leichte Besorgnis geweckt hätten. So jedoch bemerkte ich nur, daß sie Englisch sprachen; deshalb redete ich sie in dieser Sprache an: »Gute Freunde«, sagte ich, »wollt ihr so freundlich sein, mir den Namen dieser Stadt zu sagen, und mich aufklären, wo ich bin?«
    »Das erfahren Sie noch früh genug«, antwortete ein Mann mit heiserer Stimme. »Kann sein, Sie sind in eine Stadt gekommen, die nicht ganz nach Ihrem Geschmack ist, aber wo man Sie unterbringt, wird man Sie nicht nach Ihren Wünschen fragen, das können Sie mir glauben.«
    Ich war maßlos erstaunt, von einem Fremden eine so grobe Antwort zu bekommen. Und ich war auch beunruhigt, als ich die finsteren und zornigen Mienen seiner Begleiter bemerkte. »Warum antworten Sie mir so schroff?« gab ich zurück. »Es ist bei den Engländern doch gewiß nicht der Brauch, Fremde so ungastlich aufzunehmen.«
    »Ich weiß nicht«, sagte der Mann, »wie es bei den Engländern üblich ist, aber bei den Iren ist es der Brauch, Schufte zu verachten.«
    Während dieses seltsamen Zwiegesprächs beobachtete ich, daß die Menge rasch anwuchs. Auf den Gesichtern lag eine Mischung von Neugier und Wut, die mich ärgerte und in gewissem Maße erschreckte. Ich erkundigte mich nach dem Weg zum Gasthaus, doch niemand antwortete. Da setzte ich mich in Marsch, und ein Gemurmel stieg aus der Menge auf, als sie mir folgte und mich umringte. Nun trat ein übel aussehender Mann heran, tippte mir auf die Schulter und sagte: »Kommen Sie, Sir, Sie müssen mir zu Mr. Kirwin folgen, um sich auszuweisen.«
    »Wer ist Mr. Kirwin? Warum soll ich mich ausweisen? Ist das nicht ein freies Land?«
»Gewiß, Sir, frei genug für ehrliche Leute. Mr. Kirwin ist Friedensrichter. Und sie sollen zum Tod eines Herrn aussagen, den man gestern abend hier ermordet aufgefunden hat.«
Diese Antwort ließ mich aufschrecken. Doch bald gewann ich meine Fassung zurück. Ich war unschuldig, und das ließ sich leicht beweisen: ich folgte also schweigend meinem Führer und wurde in eines der besten Häuser der Stadt gebracht. Vor Erschöpfung und Hunger war ich kurz vor dem Zusammenbrechen. Doch da mich eine Menge umringte, hielt ich es für ratsam, alle Kraft zusammenzunehmen, damit man meine körperliche Schwäche nicht als die Angst des Schuldbewußtseins auslegte. Kaum erwartete ich da den Schicksalsschlag, der mich in wenigen Augenblicken treffen und jede Angst vor Schande oder Tod in Grauen und Verzweiflung ersticken sollte.
Hier muß ich mich unterbrechen, denn es erfordert meinen ganzen Mut, mir die schrecklichen Ereignisse ins Gedächtnis zurückzurufen, die ich nun im einzelnen schildern werde.

Einundzwanzigstes Kapitel
    Bald führte man mich vor den Friedensrichter, einen alten und gütigen Mann mit ruhigem und mildem Wesen. Er blickte mich jedoch mit einem gewissen Maß von Strenge an. Dann wandte er sich zu meinen Begleitern und fragte, wer in diesem Fall als Zeuge auftrete.
    Etwa ein halbes Dutzend Männer trat vor, und nachdem der Friedensrichter einen bezeichnet hatte, gab dieser an, er sei in der vergangenen Nacht mit seinem Sohn und seinem Schwager, David Nugent, zum Fischen ausgefahren, als sie gegen zehn Uhr bemerkten, daß ein steifer Nordwind einsetzte, und deshalb hätten sie auf Land zugehalten. Es sei eine sehr dunkle Nacht gewesen, denn der Mond war noch nicht aufgegangen. Sie hätten nicht den Hafen angelaufen, sondern wie gewöhnlich eine Bucht etwa zwei Meilen davor. Er sei vorausgegangen und habe einen Teil des Geräts getragen, und seine Kameraden seien ihm in einigem Abstand gefolgt. Als er den Strand entlangging, sei er über etwas gestolpert und der Länge nach zu Boden geschlagen. Seine Begleiter seien herangekommen, um ihm zu helfen, und beim Licht ihrer Laterne hätten sie erkannt, daß er auf einen Mann gefallen sei, der allem Anschein nach tot war. Ihre erste Vermutung sei es gewesen, es handele sich um die Leiche einer Person, die ertrunken und von den Wellen an Land geworfen worden sei, doch bei näherer Untersuchung hätten sie festgestellt, daß die Kleidung nicht näß und der Körper noch gar nicht erkaltet war. Sie hätten ihn sofort in die nahe gelegene Kate einer alten Frau getragen und sich, wenn auch vergeblich, bemüht, ihn wiederzubeleben. Es scheine ein gutaussehender junger Mann gewesen zu sein, etwa fünfundzwanzig Jahre alt. Offenbar sei er erwürgt worden, denn es sei kein

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