Frankenstein
Gefängnis nicht die Heimstatt des Frohsinns sein kann. »Was ist das für ein Ort, an dem du dich aufhältst, mein Sohn!« sagte er und betrachtete traurig die vergitterten Fenster und den elenden Anblick der Zelle. »Du bist verreist, um das Glück zu suchen, aber dich scheint ein Verhängnis zu verfolgen. Und der arme Clerval…«
Der Name meines unglücklichen ermordeten Freundes bedeutete eine zu große Aufregung, die ich in meinem geschwächten Zustand nicht ertragen konnte. Ich vergoß Tränen.
»Ach! Ja, mein Vater«, antwortete ich, »ein Schicksal der furchtbarsten Art schwebt über mir, und ich muß am Leben bleiben, um es zu erfüllen, sonst wäre ich gewiß an Henris Sarg gestorben.«
Wir durften uns nicht allzu lange unterhalten, denn meine angegriffene Gesundheit machte jede Vorkehrung notwendig, mir völlige Ruhe zu gewährleisten. Mr. Kirwin kam herein und beharrte darauf, meine Kraft nicht durch zu große Belastungen zu erschöpfen. Doch das Erscheinen meines Vaters war für mich wie das meines Schutzengels, und allmählich gewann ich meine Gesundheit wieder.
Als meine Krankheit mich verließ, versank ich in schwarzer, düsterer Melancholie, die nichts zu zerstreuen vermochte. Stets stand Clervals geisterhaftes Bild vor mir, dahingemordet. Mehr als einmal ließ die Erregung, in die diese Gedanken mich versetzten, meine Freunde einen gefährlichen Rückfall befürchten. Ach! Warum haben sie ein so elendes und nichtswürdiges Leben erhalten? Sicherlich, damit ich mein Geschick erfüllen könne, das sich jetzt seinem Ende nähert. Bald, ach, sehr bald wird der Tod dieses schmerzhafte Pochen auslöschen und mich von der mächtigen Last der Seelenqual erlösen, die mich in den Staub drückte. Und indem ich den Urteilsspruch der Gerechtigkeit ausführe, werde auch ich zur Ruhe sinken. Damals war der Auftritt des Todes noch fern, obwohl der Wunsch in meinem Denken stets gegenwärtig war; und oft saß ich stundenlang starr und wortlos da und wünschte mir eine mächtige Umwälzung herbei, die mich und meinen Vernichter unter Ruinen begrübe.
Die Zeit der Assisen rückte heran. Ich saß schon seit drei Monaten im Gefängnis, und obwohl ich noch schwach war und in der ständigen Gefahr eines Rückfalls schwebte, war ich genötigt, fast hundert Meilen weit zur Hauptstadt der Grafschaft zu reisen, wo das Gericht tagte. Mr. Kirwin übernahm es mit aller Sorgfalt, Zeugen zusammenzubringen und meine Verteidigung vorzubereiten. Mir blieb die Schande erspart, öffentlich als Verbrecher in Erscheinung zu treten, da der Fall nicht vor das Gericht kam, das über Leben und Tod entscheidet. Das große Schwurgericht wies die Klage ab, nachdem bewiesen worden war, daß ich mich zu der Stunde, da der Leichnam meines Freundes gefunden wurde, auf den Orkneyinseln befand. Und zwei Wochen nach meiner Verlegung wurde ich aus der Haft entlassen.
Mein Vater war vor Freude außer sich, daß ich von den Belastungen eines Kriminalprozesses verschont blieb, wieder die frische Luft atmen und in mein Vaterland zurückkehren durfte. Ich teilte diese Gefühle nicht. Mir waren die Mauern eines Kerkers oder eines Palastes gleichermaßen verhaßt. Der Becher des Lebens war mir für immer vergiftet; und wenngleich die Sonne auf mich herabschien wie auf die Glücklichen und Herzensfrohen, sah ich um mich her nichts als schreckliche dichte Dunkelheit, die kein Licht durchdrang außer dem Funkeln zweier Augen, die mich anstarrten. Manchmal waren es Henris ausdrucksvolle Augen, todesmatt, die dunkle Iris von den Lidern fast bedeckt und von den langen schwarzen Wimpern gesäumt, manchmal waren es die wäßrigen, trüben Augen des Ungeheuers, wie ich sie zuallererst in meiner Kammer in Ingolstadt sah.
Mein Vater gab sich Mühe, die Regungen der Liebe in mir zu wecken. Er sprach von Genf, das ich bald wiedersehen würde – von Elisabeth und Ernst. Doch diese Worte entlockten mir nur tiefe Seufzer. Manchmal verspürte ich allerdings den Wunsch nach Glück und dachte mit schwermütiger Freude an meine geliebte Kusine. Oder ich sehnte mich mit verzehrendem maladie du pays danach, noch einmal den blauen See und die flinke Rhone zu sehen, die mir in der Kindheit so viel bedeutet hatten. Doch im allgemeinen war mein Gefühlszustand eine Betäubung, in der mir ein Gefängnis als Wohnung genauso willkommen war wie die herrlichste Landschaft in der Natur; und diese Episoden wurden kaum jemals von etwas anderem unterbrochen als Anfällen der Angst und
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