Frankenstein - Der Schatten: Roman (German Edition)
salzhaltige Lösung ist frei von jedem Beben und Surren.
In seinem nicht nachlassenden Eifer reißt der Besucher das Laborbecken aus seiner Befestigung und schleudert es zur Seite.
Das Edelstahlbecken trifft die Tür des Gefrierschranks, und die Glasscheibe zerspringt.
Dies scheint ein Ereignis von gewaltiger Tragweite zu sein. Was war, ist nicht mehr. Veränderungen sind eingetreten.
Chamäleon hat eine klarere Sicht als jemals zuvor, als der Besucher das Labor verlässt.
Was hat das alles zu bedeuten?
Chamäleon grübelt an den jüngsten Ereignissen herum.
33.
Das sechsbeinige Höllenwesen, das aus dem demolierten Labor in den Korridor trat, ragte drohend auf, so groß wie drei Männer.
An einigen Merkmalen des Wesens konnte Deucalion das Vorhandensein menschlicher DNA erkennen. Das Gesicht wirkte weitgehend wie das eines Mannes, obgleich es zweimal so breit und eineinhalbmal so lang war wie das durchschnittliche Gesicht eines Menschen. Aber der Kopf saß nicht auf einem Hals, sondern verschmolz direkt mit dem Körper, ähnlich wie bei einem Frosch Kopf und Körper ineinander übergehen.
In dem gesamten Organismus manifestierte sich nichtmenschliches Genmaterial in vielfältigen verblüffenden Formen, als wetteiferten zahlreiche Gattungen miteinander um die Kontrolle über den Körper. Einflüsse von Katzen, Hunden, Insekten, Reptilien, Vögeln und Krustentieren waren deutlich an den Gliedmaßen zu erkennen, an falsch platzierten und überschüssigen Körperöffnungen, an Schwänzen und Stacheln, an halb ausgeformten Gesichtern, die jederzeit und überall in der Gewebemasse auftauchen konnten.
Nichts an diesem bizarren Organismus schien stabil zu sein, sondern alles in unablässigem Wandel begriffen, als handelte es sich bei seinem Fleisch um Ton, der sich der Fantasie und den flinken Händen eines unsichtbaren – und wahnsinnigen – Bildhauers fügte. Dies war der Fürst des Chaos, der Feind des Gleichgewichts, der Bruder der Anarchie, buchstäblich vor Unordnung überschäumend, definiert durch den Mangel an klaren Umrissen, charakterisiert durch Verzerrung und Entstellung und missratene Proportionen.
Deucalion wusste sofort, was vor ihm stand. Als er vorhin auf dem Computer im Zentrallabor Victors Dateien durchsucht hatte, war er auf die täglichen Aufzeichnungen seines Schöpfers gestoßen, in denen er wesentliche Entwicklungen festhielt. Unter den wenigen Tagen, die er überflogen hatte, waren die beiden jüngst vergangenen gewesen, und dort war die plötzliche Metamorphose Werners nicht nur geschildert, sondern auch durch Videoclips illustriert worden.
Auf der Oberfläche der Bestie formten sich Münder, bildeten sich wieder zurück und formten sich von neuem, die meisten von ihnen menschlich in ihrer Formgebung. Einige knirschten nur mit den Zähnen. Einige bewegten ihre Lippen und Zunge, konnten jedoch ihre Stimme nicht finden. Andere gaben Rufe wie jene von sich, die Deucalion aus Victors
zwei Etagen tiefer gelegenem Zentrallabor heraufgeführt hatten, wortlose Äußerungen von Kummer und Verzweiflung, die Stimmen der Verlorenen und Hoffnungslosen.
Diese Sprecher hörten sich an wie Kinder, obgleich alle in den Händen der Barmherzigkeit – und somit auch in diesem kollektiven Geschöpf – erwachsen waren. Nachdem sie ihrer Versklavung durch die Kapitulation vor dem biologischen Chaos entkommen waren und im Prozess der Einbuße ihrer körperlichen Eigenständigkeit ihre Programmierung verloren hatten, schienen sie sich psychisch zurückentwickelt zu haben und in ihre frühe Kindheit regrediert zu sein, eine Kindheit, die sie nie erlebt hatten, und jetzt waren sie hilfloser denn je.
Unter dem Sammelsurium von Individuen besaß nur Werner, dessen entstellte Züge weiterhin das eigentliche Gesicht der Bestie prägten, die Stimme eines Erwachsenen. Beim Verlassen des Labors verdrehte er seine hervortretenden Augen, musterte diejenigen, die im Korridor warteten, und sagte, nachdem er ihnen einen Moment Zeit zum Nachdenken gelassen hatte, vielleicht aber auch, damit sie ihn beneiden und bewundern konnten: »Seid frei . Seid in mir frei. Nehmt Abschied von der Hoffnungslosigkeit, ihr alle, die ihr euch in mir vereinigt. Seid frei in mir. Wartet nicht ab, bis euch gesagt wird, wann ihr die Alte Rasse töten dürft. Seid in mir frei, und wir werden noch heute Nacht mit dem Morden beginnen. Seid in mir frei, und wir werden die Welt töten.«
Ein Mann mit verzückter Miene näherte sich dem
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