Frankenstein - Der Schatten: Roman (German Edition)
sagte Jocko.
Erika beugte sich tief hinunter, bis ihre Lippen nur noch wenige Zentimeter von dem Glas entfernt waren. Sie sagte leise: »Hallo, hallo, hallo, du da drinnen.«
Innerhalb des bernsteinfarbenen Gases oder der Flüssigkeit schlug der verschwommene Umriss um sich und warf sich heftig herum.
Jocko huschte so schnell von dem Behälter fort, dass Erika nicht sah, wie er auf das schmale Sims der Kamineinfassung gelangt war, doch dort hockte er jetzt mit weit ausgebreiteten Armen und hielt sich an zwei bronzenen Leuchtern fest.
»Mir hat es beim ersten Mal auch Angst eingejagt«, sagte Erika. »Aber zu dem Zeitpunkt hatte ich erst ein einziges Mal Schläge bekommen und noch nicht gesehen, wie Christine erschossen wurde. Jetzt bin ich nicht mehr ganz so leicht zu erschrecken.«
»Jocko wird sich übergeben.«
»Du wirst dich nicht übergeben, kleiner Freund.«
»Wenn wir jetzt nicht gehen, übergibt sich Jocko.«
»Sieh mir in die Augen, und sag mir die Wahrheit«, sagte sie. »Jocko ist es nicht übel, er fürchtet sich nur. Ich werde wissen, ob du lügst.«
Er sah ihr in die Augen und gab ein erbärmliches Wimmern von sich. Schließlich sagte er: »Jocko geht, oder Jocko übergibt sich.«
»Ich bin enttäuscht von dir.«
Er wirkte betroffen.
Sie sagte: »Wenn du mir die Wahrheit sagst, wo ist dann das Erbrochene?«
Jocko sog den oberen und den unteren Lappen seines Mundes zwischen seine Zähne und biss darauf. Er wirkte beschämt.
Als Erika einfach nicht aufhörte, ihn anzustarren, machte der Troll den Mund auf, ließ einen Leuchter los und steckte sich die Finger in den Hals.
»Selbst wenn es klappen würde«, sagte sie, »würde das nicht zählen. Wenn dir wirklich schlecht wäre, richtig schlecht, dann könntest du dich ohne den Trick mit dem Finger übergeben.«
Jocko versuchte es immer wieder, würgend und mit tränenden Augen, doch er konnte sich nicht erbrechen. Seine Bemühungen waren so anstrengend, dass sein rechter Fuß den Halt verlor und vom schmalen Sims der Kamineinfassung abrutschte, er sich nicht mehr an dem zweiten Leuchter festhalten konnte und auf den Boden fiel.
»Siehst du, was es dir einträgt, wenn du einen Freund belügst?«
Der Troll wand sich vor Scham und versuchte sich hinter dem Ohrensessel zu verstecken.
»Sei nicht albern«, sagte Erika. »Komm her.«
»Jocko kann dich nicht ansehen. Er kann es einfach nicht.«
»Natürlich kannst du das.«
»Nein. Jocko kann es nicht ertragen, wenn er sieht, dass du ihn hasst.«
»Unsinn. Ich hasse dich nicht.«
»Du hasst Jocko. Er hat seinen besten Freund belogen.«
»Und ich weiß, dass er seine Lektion gelernt hat.«
Hinter dem Sessel sagte Jocko: »Hat er. Hat er wirklich.«
»Ich weiß, dass Jocko mich nie wieder belügen wird.«
»Nie wieder. Er … ich werde es nie wieder tun.«
»Dann komm her.«
»Jocko ist furchtbar verlegen.«
»Du brauchst nicht verlegen zu sein. Wir werden noch bessere Freunde sein als vorher.«
Zögernd kam er hinter dem Sessel hervor. Schüchtern näherte er sich Erika, die am Kopfende des Glasbehälters stehen geblieben war.
»Bevor ich dich in der Angelegenheit, um die es mir geht, nach deiner Meinung frage«, sagte sie, »muss ich dir noch etwas zeigen.«
Jocko sagte: »Oh weh.«
»Ich werde genau das tun, was ich gestern getan habe. Lass uns sehen, was passiert.«
»Oh weh.«
Wieder beugte sie sich zu der Glasoberfläche hinunter und sagte: »Hallo, hallo, hallo, du da drinnen.«
Der verschwommene Umriss rührte sich wieder, und diesmal sandten die Schallwellen ihrer Stimme ein pulsierendes Blau durch den Behälter, wie es bereits ihr Pochen mit dem Knöchel getan hatte.
Sie sprach wieder. »Ich bin des Königs Ahasveros Königin Esther.«
Das pulsierende Blau war jetzt intensiver als bisher. Die verschwommene Gestalt schien aufzusteigen und dichter an die Glasplatte heranzukommen, sodass die vage Andeutung eines bleichen Gesichts zu sehen war, aber keine Einzelheiten. Erika drehte sich zu Jocko um und flüsterte: »Genau das ist gestern passiert.«
Die gelben Augen des Trolls waren groß vor Furcht. Er sah entgeistert die verschwommene Andeutung eines Gesichts unter dem Glas an, und aus seinem offenen Mund kam etwas, was wie eine schillernde Seifenblase aussah.
Erika brachte ihre Lippen wieder dicht über die Glasplatte und wiederholte noch einmal: »Ich bin des Königs Ahasveros Königin Esther.«
Aus dem pulsierenden Blau, das sich durch ihre Worte gebildet
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