Frankenstein oder Der moderne Prometheus
»daß für uns nur wenig Glück mehr auf
Erden blüht. Dennoch aber ist all mein Sehnen und Hoffen auf Dich
gerichtet. Deine Befürchtungen sind grundlos. Du allein bist es,
die mein Leben heiligt und meine Hoffnung auf Frieden zu erfüllen
vermag. Ich habe ein Geheimnis, Elisabeth, ein entsetzliches
Geheimnis! Wenn ich es Dir anvertrauen dürfte, es würde Dich
eiskalt überlaufen, und, statt über mein Elend überrascht zu sein,
Dich nur wundern, daß ich das alles ertragen habe. An unserem
Hochzeitsmorgen will ich Dir das Geheimnis anvertrauen, denn es
soll vollkommene Klarheit zwischen uns herrschen. Und bis dahin,
Geliebte, bitte ich Dich, weder darüber zu sprechen, noch auch
irgend eine Andeutung zu machen. Darum bitte ich Dich ernstlich,
und ich weiß, daß ich Dich nicht vergebens gebeten habe.
Eine Woche, nachdem Elisabeths Brief mich erreicht hatte, kamen
wir in Genf an. Das teuere Mädchen begrüßte mich mit heißer Freude.
Aber Tränen standen in ihren Augen, als sie meine abgemagerten
Hände drückte und mich auf die fieberheißen Wangen küßte. Auch sie
war etwas verändert. Sie war schmaler geworden und hatte viel von
der Lebhaftigkeit eingebüßt, die ihr vordem so gut gestanden hatte.
Aber ihre Milde und ihr sanftes Mitleid machten sie zu einer
geeigneten Genossin für einen Mann, der elend und gebrochen
ist.
Die Ruhe, deren ich damals genoß, war nicht von langer Dauer.
Die Erinnerungen tauchten wieder in aller Frische auf und machten
mich fast wahnsinnig. Manchmal raste ich, manchmal war ich still
und nachdenklich. Ich sprach mit niemand und sah auch niemand an,
sondern saß regungslos in einer Ecke, erdrückt von den Qualen, die
auf mich einstürmten.
Nur Elisabeth vermochte mich einigermaßen aufzuheitern. Ihre
sanfte Stimme milderte meine Rasereien und flößte mir Lebensmut
ein, wenn ich in trostloses Grübeln verfiel. Sie weinte mit mir und
um mich. Wenn ich dann wieder vernünftig geworden war, bemühte sie
sich, mir Mut zu machen. Ja, dem Unglücklichen kann man wohl Mut zusprechen, aber nicht dem
Schuldigen.
Bald nach unserer Heimkehr sprach mein Vater mit mir über die
bevorstehende Hochzeit. Ich verhielt mich schweigend.
»Du hast also keine andere Verpflichtung?«
»Keine! Ich liebe Elisabeth und sehe unserer Vereinigung mit
Freuden entgegen. Bestimme den Tag, und dieser Tag soll es sein, an
dem ich mich für Leben und Tod dem Glück der Geliebten weihe!«
»Lieber Viktor, so darfst du nicht sprechen! Wir haben sehr viel
Schweres zu tragen gehabt, das ist wahr; aber wir wollen fest
zusammenhalten, wir, die noch übrig geblieben sind, und unseren
Lebenden die Liebe schenken, die wir für die Toten hatten. Unser
Kreis wird nur mehr ein kleiner sein, aber die Gefühle treuer Liebe
und das gemeinsam erlebte Mißgeschick wird uns unlöslich aneinander
ketten. Und bis die Zeit dein Leid gemildert hat, werden wieder
neue Wesen da sein, die die ersetzen sollen, die uns auf so
grauenhafte Weise genommen worden sind.«
Aber die Trostworte meines Vaters waren doch nicht imstande,
mich die Drohungen des Dämons vergessen zu machen, denn ich hielt
diesen nach all den blutigen Siegen, die er bisher über mich
errungen, für unüberwindlich. Und nachdem er einmal die Worte
ausgesprochen: »Ich werde in deiner Brautnacht bei dir sein,« hielt
ich auch mein Schicksal für unabwendbar. Aber der Tod war kein Übel
für mich, wenn ich daran dachte, daß er mir ja auch meine Elisabeth
hätte wegnehmen können. Ich gab deshalb fast freudig meine
Zustimmung, daß die Hochzeit in zehn Tagen gefeiert werden sollte,
wenn auch damit mein Geschick besiegelt war.
Großer Gott, wenn mir auch nur einmal eine Ahnung gekommen wäre,
welche Absichten mein tückischer Feind hatte, ich hätte mich lieber
in die wildesten Landstriche geflüchtet und wäre als ruheloser
Wanderer auf Erden umhergezogen, als daß ich zu dieser unseligen
Heirat mein Einverständnis erteilt hätte. Aber es war, als hätte
mich das Ungeheuer mittels magischer Einflüsse über seine wahren Absichten im Dunkeln gehalten, und
indem ich mich auf mein eigenes Ende gefaßt machte, beschleunigte
ich nur den Tod des über alles geliebten Weibes.
Je näher der Tag kam, desto mutloser wurde ich; entweder weil
ich feig war oder weil mich trübe Ahnungen erfaßten. Ich heuchelte
aber eine gewisse Heiterkeit, die ein glückliches Lächeln auf das
Gesicht meines Vaters zauberte, während die schärfer blickende
Elisabeth sich nicht täuschen
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