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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Shelley
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weit gebracht. Wilhelm, Justine und Henry –
sie alle fielen durch meine Hand!«
    Schon während meiner Gefangenschaft hatte mein Vater dieses
Geständnis öfter gehört und hielt diese Selbstbeschuldigungen für
eine Ausgeburt meiner immer noch kranken Phantasie. Ich vermied es,
eine Erklärung zu geben, um nichts von dem Ungeheuer erwähnen zu
müssen, das ich geschaffen. Man hätte mich sicher für irrsinnig
erklärt, und diese Aussicht allein band mir die Zunge. Außerdem
wollte ich mein Geheimnis nicht offenbaren, das die Meinen mit
ewiger Angst und tiefstem Grauen erfüllen mußte. Ich unterdrückte
deshalb meine Sehnsucht nach Mitgefühl und schwieg, wenn ich am
meisten das Bedürfnis fühlte, das in die Welt hinauszuschreien, was
mich so unglücklich machte. Manchmal konnte ich nicht widerstehen,
Worte, wie die erwähnten, auszusprechen und mir dadurch etwas
Erleichterung zu verschaffen; aber ich
hütete mich, Erklärungen dazu zu geben.
    Bei einer solchen Gelegenheit sagte mein Vater, aufs äußerste
erstaunt: »Mein Junge, was sind das für Einbildungen? Ich bitte
dich, lieber Viktor, sage doch so etwas nicht mehr.«
    »Ich bin nicht wahnsinnig,« rief ich energisch, »der Himmel und
die Sonne haben gesehen, was ich tat, und sind dessen Zeugen. Ich
bin der Mörder der armen Opfer; durch meine Hand fielen sie.
Tausendmal lieber hätte ich mein Blut Tropfen um Tropfen
hergegeben, wenn ich damit ihr Leben hätte retten können. Aber ich
konnte nicht, Vater, ich konnte nicht, wenn ich nicht das ganze
menschliche Geschlecht verderben wollte.«
    Mein Vater konnte sich der Überzeugung nicht verschließen, daß
ich doch geistesgestört sein mußte, und wechselte rasch das
Gesprächsthema, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Er
versuchte die Erinnerung an die Ereignisse, die sich in Irland
abgespielt hatten, in meiner Erinnerung zu verwischen, indem er
selbst nie davon sprach und auch nicht erlaubte, daß ich ihrer
Erwähnung tat.
    Mit der Zeit aber wurde ich doch etwas ruhiger. Nicht, als ob
meine Seele von dem schweren Druck befreit gewesen wäre, aber ich
vermochte mich so weit zu beherrschen, daß ich nicht mehr in so
leidenschaftlicher Weise von meinem Verbrechen sprach. Ich hatte
schon genug darunter zu leiden, daß ich mir seiner völlig bewußt
war. Mit dem Aufgebot äußerster Willenskraft unterdrückte ich die
Stimme in mir, die forderte, daß ich alles der ganzen Welt
verkündete, und ich war ruhiger und gefaßter als je einmal seit dem
Augenblick, der mich inmitten des öden Eismeeres mit meinem Dämon
zusammenführte.
    Wenige Tage, ehe wir Paris verließen, um unsere Reise nach der
Schweiz fortzusetzen, erhielt ich folgenden Brief von
Elisabeth:

Genf, den 18. Mai
17..
    Mein lieber Viktor! Mit der größten Freude erfüllte mich Deines
Vaters Brief aus Paris; denn nun weiß ich, daß Du nicht mehr
allzuweit entfernt bist und in weniger als vierzehn Tagen bei mir
sein wirst. Mein Geliebter, was mußt Du gelitten haben! Jedenfalls
siehst Du noch viel elender aus als damals, da Du Genf verließest.
Ich habe einen schlechten Winter hinter mir; denn Du kannst Dir
denken, daß ich in der schrecklichsten Sorge um Dich war. Aber ich
hoffe wenigstens, daß jetzt Friede und Ruhe in Deinem Herzen
Einkehr gehalten haben.
    Allerdings befürchte ich, daß die Gefühle, die Dich schon vor
einem Jahre so niederdrückten, immer noch vorhanden sind,
vielleicht noch vergrößert. Ich möchte Dich nicht aufregen, da so
viel Unheil auf Dir lastet. Aber eine Unterredung, die ich kurz vor
Deiner Abreise mit Deinem Vater hatte, zwingt mich, Dich um eine
Erklärung zu bitten, ehe wir uns wieder in die Augen sehen.
    Erklärung, wirst Du sagen; was kann Elisabeth für eine Erklärung
meinen? Nun, wenn Du so sagst, ist meine Frage ohnehin schon
beantwortet, und meine Zweifel sind gelöst. Aber trotzdem muß auch
ich Dir eine Erklärung geben, die sich nicht länger mehr
hinausschieben läßt. Nur hatte ich bisher nicht den Mut dazu.
    Du weißt, geliebter Viktor, daß unsere Verbindung eine
Lieblingsidee Deiner Eltern war, schon als wir noch in den
Kinderschuhen steckten. Wir wußten es von Anfang nicht anders und
lernten es als etwas Selbstverständliches betrachten. Wir waren
treue Spielkameraden und gute Freunde, als wir älter wurden, wie
oft Bruder und Schwester sich innig lieb haben, ohne je an eine
Vereinigung zu denken, könnte dies nicht auch zwischen uns der Fall
sein? Sage mir, lieber Viktor, antworte mir, ich

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