Frankenstein oder Der moderne Prometheus
Gespenst verschwunden war, und
wir machten uns sofort in Booten auf die Suche. Sogar Netze ließ
ich auswerfen, aber vergebens. Nach einigen Stunden kehrten wir
enttäuscht zurück, und einige meiner Begleiter mochten sich wohl im
stillen denken, daß das Ganze vielleicht nur eine Ausgeburt meiner
Phantasie sei. Nachdem wir wieder an Land waren, begaben sich die
meisten auf den Weg in die Waldungen und Weinberge, um dort nach
dem Dämon zu fahnden.
Auch ich wollte mich anschließen und ging ein Stück weit mit;
aber in meinem Kopf wirbelte es und ich wankte wie ein Trunkener
hin und her. Schließlich verfiel ich in einen Zustand völliger
Erschöpfung; vor den Augen ward es mir dunkel und meine Haut bedeckte sich mit Fieberschweiß. Man brachte
mich in den Gasthof zurück und legte mich zu Bett. Meine Augen
wanderten ruhelos umher, als suchten sie etwas.
Nach einiger Zeit erhob ich mich wieder, fast instinktiv, und
schleppte mich in das Zimmer, wo man mein Weib aufgebahrt hatte.
Eine Anzahl weinender Frauen stand herum und ich vereinigte meine
Klagen mit den ihren, indem ich den Leib der geliebten Toten
umschlungen hielt. Rastlos irrten meine Gedanken umher. Vom Tode
Wilhelms zur Hinrichtung Justines, von der Ermordung Clervals zu
der meines Weibes, und selbst in diesem Zustande kam mir der
Gedanke, daß die mir noch gebliebenen Lieben der Bosheit meines
Feindes ausgesetzt waren. Vielleicht röchelte mein Vater gerade
unter dem grausamen Griff des Ungeheuers, während Ernst schon tot
am Boden lag. Ich schauderte und raffte mich auf. Unter allen
Umständen mußte ich unverzüglich nach Genf zurück.
Pferde konnte ich nicht bekommen und es blieb mir also nur der
Wasserweg. Allerdings war der Wind ungünstig und der Regen fiel in
Strömen. Ich mietete mir Ruderer und ergriff auch selbst ein Ruder.
Denn ich hatte mir bei seelischer Depression stets mit körperlicher
Betätigung wieder aufgeholfen. Aber die furchtbaren Leiden, die ich
erduldet, hatten mir dermaßen zugesetzt, daß ich meine Absicht
nicht auszuführen vermochte. Ich warf das Ruder von mir und legte
weinend das Gesicht auf den Arm. Wenn ich einen Augenblick um mich
sah, erblickte ich Naturszenen, die mir von Jugend an lieb und
vertraut waren und die ich noch Tags vorher mit der betrachtet
hatte, die nun nur mehr ein Schatten, eine Erinnerung war. Ich
wehrte meinen Tränen nicht. Der Regen hatte aufgehört und ich sah
die Fische in der Flut spielen, wie ich es wenige Stunden vorher
auch gesehen, und auch Elisabeths Augen hatten noch auf ihren
geruht.
Aber warum soll ich noch lange bei den Ereignissen verweilen,
die nach diesem letzten, schwersten Schlag eintraten. Ich habe
Ihnen eine grausige Geschichte erzählt und der Höhepunkt ist
erreicht. Das, was noch nachkommt, könnte sie höchstens langweilen. Nur das eine möchte ich noch sagen, daß
auch alle meine noch übrig gebliebenen Angehörigen hinweggerafft
wurden, so daß ich jetzt ganz allein stand. Ich bin mit meiner
Kraft ziemlich am Ende und ich kann Ihnen nur mehr in kurzen Worten
den Rest meiner entsetzlichen Geschichte berichten.
Ich kam in Genf an. Mein Vater und Ernst waren noch am Leben;
aber der erstere brach unter dem Eindruck dessen zusammen, was ich
ihm zu berichten hatte. Ich sehe ihn noch vor mir, den schönen,
ehrwürdigen Greis, wie seine Augen ins Leere starrten, denn er
hatte seinen Stolz, sein Glück, seine Elisabeth verloren, die ihm
mehr war als eine Tochter, an der er mit seiner ganzen Liebe hing.
Tausendmal verflucht sei der Dämon, der so viel Leid auf das graue
Haupt meines Vaters häufte und ihm alles Glück nahm. Er mußte sich
niederlegen, und das Erlebte drückte ihn so schwer, daß er sich
nimmer erhob. Einige Tage später starb er in meinen Armen.
Was dann mit mir geschah? Ich weiß es nicht mehr. Ich hatte die
Besinnung verloren, und wenn ich hier und da wieder etwas empfand,
so waren es Dunkelheit und Ketten. Oftmals träumte mir, ich wandere
auf grünen Wiesen mit den Gespielen meiner Kindheit; aber wenn ich
erwachte, merkte ich, daß ich in einem Gefängnis war. Es trat
zunächst ein Zustand tiefster Melancholie ein und dann ward ich mir
nach und nach meiner ganzen Situation bewußt. Man hatte mich für
wahnsinnig erklärt und mich mehrere Monate, wie ich nachher erfuhr,
in einer engen Zelle gefangen gehalten. Nun aber fielen meine
Ketten.
Die Freiheit hätte für mich freilich nicht viel Wert gehabt,
wäre nicht zugleich mit meinem Bewußtsein der glühende
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