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Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Frankenstein oder Der moderne Prometheus

Titel: Frankenstein oder Der moderne Prometheus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Shelley
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war
tatsächlich ein Wrack, nur ein Schatten meiner selbst, ein Skelett.
Und heftige Fieber rüttelten immer wieder an meinem schwachen
Körper.
    Da ich aber so sehr drängte, Irland zu verlassen, hielt es mein
Vater schließlich doch für das beste, nachzugeben. Wir machten die
Reise an Bord eines Seglers, der nach Havre gehen sollte, und
gingen vor einer frischen Brise in See, fort von der irischen
Küste. Es war Mitternacht. Ich lag auf Deck, sah in die Sterne über
mir und lauschte dem Plätschern der Wellen an den Schiffsplanken.
Ich war froh, daß das Dunkel bald die Gestade Irlands meinen
Blicken entzog, und mein Herz pochte stürmisch, wenn ich daran
dachte, daß die Heimat vor mir lag. Das Vergangene erschien mir
dann wie ein düsterer Traum; aber das Schiff, auf dem ich mich
befand, der Wind, der von dem verwünschten Irland her wehte, die
Wasser rings um mich erzählten mir mit zwingender Sprache, daß
alles Wahrheit sei, daß mein geliebter Clerval, mein treuester
Freund, meiner wahnwitzigen Schöpfung und damit mir zum Opfer
gefallen war. Mein ganzes Leben ließ ich in meinen Gedanken vor mir
vorüberziehen: mein stilles Glück, als ich noch im Schoße meiner
Familie in Genf weilte; den Tod meiner Mutter und meine Abreise
nach Ingolstadt. Ich erinnerte mich mit
Schrecken des übernatürlichen Eifers, der mich immer wieder
anstachelte, meinen schlimmsten Feind zu schaffen, und der Nacht,
in der das Ungetüm Leben gewann. Weiter vermochte ich nicht mehr zu
denken, sondern ich weinte bittere Tränen.
    Seit ich von meinem Fieber einigermaßen wiederhergestellt war,
hatte ich mir angewöhnt, jeden Abend eine Dosis Laudanum zu mir zu
nehmen, um auf diese Weise den zur Erhaltung meines Lebens nötigen
Schlaf zu ermöglichen. Da ich durch die Erinnerung an das
Vergangene besonders erregt war, hatte ich an jenem Abend die
doppelte Dosis eingenommen und schlief einen tiefen, bleiernen
Schlaf. Von meinen Gedanken und Ängsten vermochte er mich ja nicht
ganz zu befreien, denn auch im Traume quälten mich alle
erdenklichen Dinge. Gegen Morgen legte es sich auf mich wie ein
Alb. Ich fühlte den harten Griff meines Dämons an der Kehle und
hatte nicht die Kraft, mich loszumachen; Weinen und Seufzen klang
in meinen Ohren. Mein Vater, der mich bewachte, hatte gemerkt, daß
ich unruhig war, und weckte mich. Eintönig schlugen die Wogen an
den hölzernen Leib des Schiffes; der Himmel über uns war bedeckt.
Mein Dämon war nicht hier. Das Bewußtsein, daß jetzt in meinen
Schicksalen eine Ruhepause eingetreten sei, gab mir ein Gefühl der
Sicherheit, das ich schon lange nicht mehr kannte. Auf meine Seele
senkte sich der Zustand friedlichen Vergessens hernieder, dem der
Mensch ja besonders zugänglich ist.

Kapitel 22
     
    Als wir gelandet waren, setzten wir die Reise nach Paris fort.
Doch bald merkte ich, daß ich meine Kräfte doch überschätzt hatte
und daß ich einige Tage Ruhe haben müßte, ehe ich imstande war
weiterzufahren. Unermüdlich war mein Vater für mich besorgt; aber
er wußte ja nicht, wo das Leiden herrührte, und versuchte es
deshalb mit ganz ungeeigneten Heilmethoden. Er meinte, daß ich
vielleicht in Gesellschaft mich zerstreuen würde, aber ich scheute die Menschen. Nicht daß ich
sie verabscheut hätte, nein. Ich wußte, sie alle seien meine
Brüder, und selbst für die Elendsten und Verworfensten unter ihnen
hegte ich warme Liebe. Aber ich wußte, daß ich nicht wert war,
unter ihnen zu weilen. Ich hatte einen Feind auf sie losgelassen,
dessen Freude es war, ihr Blut zu vergießen und sich an ihren
Schmerzen und Leiden zu ergötzen. Entsetzt und empört müßten sie
mich alle von sich stoßen, wenn sie wüßten, welches Verbrechen ich
begangen und welche Greuel ich verursacht hatte.
    Mein Vater gab schließlich nach, als er sah, daß mir auf diese
Weise auch nicht zu helfen war, und besann sich auf andere Mittel,
um meine verzweifelte Stimmung zu vertreiben. Einmal fragte er
mich, ob ich denn darunter so leide, daß man mich eines Mordes für
schuldig gehalten habe, und suchte mich zu überzeugen, daß das eine
übergroße Empfindlichkeit sei.
    »Ach Gott, Vater,« sagte ich, »wie wenig kennst du mich doch.
Die ganze Menschheit wäre nichts mehr wert, wenn ein Verruchter,
wie ich, empfindlich wäre. Justine, die arme, unglückliche Justine
war ebenso unschuldig wie ich und hatte dasselbe zu erleiden; und
sie mußte dafür sogar auf das Blutgerüst steigen. Daran bin ich
schuld! Ich habe sie so

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