Frankenstein oder Der moderne Prometheus
beschwöre Dich bei
unserem Glück, offen und ehrlich – liebst Du nicht eine andere?
Du bist weit in der Welt herumgekommen, Du bist mehrere Jahre in
Ingolstadt gewesen, und ich gestehe Dir, mein Freund,als ich Dich im letzten Herbst so unglücklich, so
menschenscheu sah, da drängte sich mir der Gedanke auf, Du könntest
unsere Verbindung doch nicht als etwas Wünschenswertes betrachten
und fügtest Dich gegen Deine Meinung nur dem Willen Deines Vater.
Aber ich weiß, es ist anders. Ich habe Dich ja so lieb und in
meinen Träumen bist stets Du der Mittelpunkt gewesen, mein
ständiger Begleiter. Da ich aber um Dein Glück ebenso besorgt bin
wie um mein eigenes, erkläre ich Dir unumwunden, daß unsere Ehe
mich auf ewig unglücklich machen müßte, wenn ich nicht der
Überzeugung sein könnte, daß der Entschluß dazu Deinem freien
Willen entsprang. Ich muß weinen, wenn ich daran denke, daß Du, nur
um einer Pflicht zu genügen, aller Hoffnung auf Liebe und Glück
entsagst, die Dir so bitter not tun. Ich, die ich Dich doch so
uneigennützig liebe, würde mir mein Leben lang Vorwürfe machen,
wenn ich mir sagen müßte, daß ich Deinen Plänen im Wege stand. Sei
überzeugt, Viktor, daß Deine Freundin und Spielgenossin eine zu
tiefe Liebe zu Dir im Herzen trägt, als daß sie nicht bei dieser
Vorstellung leiden müßte. Sei glücklich, mein Geliebter; und wenn
ich weiß, daß Du es bist, dann soll nichts auf Erden meine Ruhe
mehr stören.
Dieser Brief soll Dir keine unangenehmen Verpflichtungen
auferlegen. Antworte nicht, weder morgen noch in den nächsten
Tagen, sondern erst, wenn Du hier bist. Über Dein Befinden hält
mich Dein Vater auf dem Laufenden. Und wenn ich nur ein schwaches
Lächeln um Deinen Mund sehe, wenn wir uns wieder gegenübertreten,
will ich zufrieden sein,
Deine Elisabeth
Lavenza.
Dieser Brief erweckte in mir wieder den Gedanken an die Drohung
meines Dämons: »Ich werde in deiner Brautnacht bei dir sein!« Das
war mein Todesurteil; in jener Nacht würde er sicherlich alle
Mittel anwenden, um mich zu vernichten und mir so die Möglichkeit
zu nehmen, in den Armen des Glücks wieder zu genesen. In jener
Nacht also wollte er mit meiner Ermordung seinen Greueltaten die
Krone aufsetzen. Nun gut, sollte es so sein! Aber ohne ein verzweifeltes Ringen sollte es nicht
abgehen. Blieb er Sieger, nun, dann hatte ich Frieden für immer und
seine Macht über mich war zu Ende. Würde er aber besiegt, dann war
ich ein freier Mann. Allerdings was für eine Freiheit? Eine
Freiheit, deren sich der Landmann erfreut, nachdem er gesehen hat,
wie seine Familie hingeschlachtet, seine Hütte verbrannt, seine
Felder verwüstet werden, und dann heimatlos, verarmt und allein,
aber frei seines Weges zieht. Solcher Art würde dann meine Freiheit
sein, nur daß ich an Elisabeth noch einen Schatz besaß, dessen Wert
vielleicht in all den Gewissensbissen, in all dem Schuldbewußtsein,
das mich bis zu meinem Ende bedrückte, gar nicht zur Geltung
kam.
Süße, heißgeliebte Elisabeth! Ich las ihren Brief, und las ihn
immer wieder, und einige sanftere, frohere Gefühle schlichen sich
in mein verarmtes Herz und gaukelten mir paradiesische Träume von
Glück und Liebe vor. Aber der Apfel war bereits gegessen und der
Engel stand mit dem flammenden Schwert vor der Pforte. Gern hätte
ich mein Leben hingegeben, um sie glücklich zu machen. Wenn der
Dämon seine Drohung ausführte, so bedeutete das für mich,
menschlichem Ermessen nach, den Tod, und meine Verheiratung mußte
also die Erfüllung meines Schicksals beschleunigen. Meine
Vernichtung mochte meinetwegen ein paar Monate früher kommen; denn
wenn mein Peiniger merkte, daß ich, erschreckt durch seine
Drohungen, meine Hochzeit hinausschob, fand er sicher bis dahin
andere Mittel, um sich an mir zu rächen, viel grausamere vielleicht
noch. Er hatte mir geschworen, in meiner Brautnacht bei mir zu
sein, aber das verpflichtete ihn keineswegs, bis dahin sich untätig
zu verhalten. Denn vielleicht um mir zu zeigen, daß sein Blutdurst
noch lange nicht gesättigt sei, hatte er kurze Zeit, nachdem er die
Drohung ausgestoßen, meinen Freund Clerval erwürgt. Ich war also
fest entschlossen, daß die Anschläge meines Feindes auf mein Leben
meine Vereinigung mit Elisabeth keine Stunde lang aufhalten
durften, wenn diese oder mein Vater sie wünschten.
In dieser Verfassung schrieb ich an Elisabeth. Mein Brief
war ruhig und liebevoll. »Ich fürchte,
meine Geliebte,« schrieb ich,
Weitere Kostenlose Bücher