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Franklin Gothic Medium (German Edition)

Franklin Gothic Medium (German Edition)

Titel: Franklin Gothic Medium (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Maucher
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Kleinen nicht zu holen. Nichtsdestoweniger, der Geschmack war einfach phantastisch.
    Urplötzlich übermannte ihn die Melancholie. Eine Schwermut, wie sie die Witwen teilen, die unter mit schwarzer Spitze verschleierten Hüten an den Gräbern ihrer gefallenen Männer trauern. Er litt unter einem plötzlich akut werdenden Seelenkatarrh. Er bedauerte, und zwar von ganzem Herzen, ihr die Zunge herausgeschnitten zu haben. Sein Bedauern war das eines Liebhabers, der nie wieder die Lippen seiner Angebeteten küssen würde. Sein Verlust der des kleinen Kindes, dem die Mutter die Brust verweigert. Es tat ihm leid! Er würde es rückgängig machen, läge es in seiner Macht, denn er war zu voreilig gewesen. Die Amputation nahm ihm die Option der Mast.
    Die Mast war eine etablierte, weit verbreitete Maßnahme, zu der man griff, wenn man den Fleischertrag maximieren wollte. Vorzugsweise in Frankreich mästete man delikate Gänse, denen man mit Hilfe eines Trichters den förderlichen Nahrungsbrei in ihre gierigen Hälse stopfte. Das Schwein, welch kluges Tier, ersparte sich diese Prozedur und päppelte sich ganz von selbst auf, mit übergroßem Appetit. Dem Schwein gleich taten es die wohlschmeckenden Sumo-Ringer, deren genudeltes Fleisch am Ende genug war, um damit eine mittelgroße Hochzeitsgesellschaft zu verköstigen. Zu schade, dass er diese Vorzüge nicht im Vorfeld erwogen hatte, bevor er seinen unbedachten Schnitt tat und sich an ihrem Gaumenmuskel labte.
    Doch nun war der Schaden bereits angerichtet, das Kind schon in den Brunnen gefallen, da half alles Jammern und Bedauern nichts. Darum sagte er sich: “Aus dem Magen, aus dem Sinn!”, räumte seinen leeren Teller in die Spülmaschine und überlegte sich, wie er den Rest des Tages verbringen würde.
    Später würde er einen Abstecher in die Wohnung seines Wildfangs machen, ihr etwas neues zum Anziehen mitnehmen; vielleicht einen ihrer Koffer packen, damit es den Anschein hatte, als wäre sie verreist. Nur für den Fall, das Nachbarn oder Arbeitskollegen sich irgendwann doch über ihren Verbleib wundern würden. War sie, wider Erwarten, im Besitz alten Schmucks oder Goldmünzen, so würde er auch diese mitnehmen und ihr in Bälde einen Taler davon in den Brunnenschacht hinterherwerfen, damit sie dem Fährmann die Überfahrt bezahlen konnte. Der arge Schnitter, sein alter Freund der Sensenmann, dem er jahrzehntelang Seele um Seele geliefert hatte, wartete sicher schon begierig. Franklin bekam das Fleisch, der Tod den Rest.
    Der Tod, die Urangst allen Lebens, erschreckte Franklin weder, noch stieß er ihn ab. Vielmehr, so schien es ihm, arbeiteten sie im selben Metier, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
    Der Ausflug würde gleichwohl noch etwas warten müssen. Zuerst galt es sich in die Arbeit zu stürzen und den in jedem seriösen Geschäft anfallenden Papierkram zu erledigen. Sorgfältig notierte er die grundlegenden Informationen, Art, Herkunft und Habitus des Fleisches, die nennenswerten Einzelheiten seiner Metzgerarbeit, welches Messer, welcher Körperteil, et cetera pp. I m Gegensatz zu den Memorabilien-Sammlungen herkömmlicher Serienmörder diente seine archivarische Arbeit weder der Selbstbeweihräucherung, noch der Befriedigung der perversen Lust, die in diesen Mördern aus niederen Beweggründen bei der Rekapitulation der Tat oft entkeimte. Seine Aufzeichnungen unterstützten ihn lediglich bei der Schaffung seines Lebenswerkes, einem Kochbuch oder besser gesagt lukullischen Führers des menschlichen guten Geschmacks. Noch mochte die Zeit nicht reif sein für sein Werk, doch, davon war er  überzeugt, eine der wichtigsten Schriften der Menschheitsgeschichte floss aus seiner Feder. Man würde ihn, eines fernen Tages, augenblicklich unnahbar wie der Gipfel eines Berges an dessen Fuß man erst steht, um seine Kochkunst beneiden; so wie ein Kiffer Jesus von Nazareth um seine Fähigkeit Gras aus seiner Tasche wachsen zu lassen beneidet hätte.  Die Menschen würden seine Gerichte lieben, der Planet würde es ihm danken. Die Kinder, von denen wir die Erde nur geliehen haben, würden ihn ehren, ihm ein Denkmal setzen, denn seine Geschenke an sie wären das Ende des Hungers auf der Welt. Und zugleich die Notbremse im Bevölkerungswachstum, denn die natürliche Rangordnung, das Überleben des Stärkeren, würde zuguterletzt wieder in Kraft gesetzt.
    Hatte er ein Rezept, von der Fleischwahl über die bestmögliche Beschaffung, bis hin zur Zubereitung und zum

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