Franklin Gothic Medium (German Edition)
Wirtschaftsmagazine würden seine Offenbarung propagieren und es würde maximal ein Jahr dauern, bis es mindestens vier Filme über sein Leben gäbe. Voraussichtlich drei davon wären großartige, heldenverehrende Hollywood-Produktionen; nur eine von einem autonomen Regisseur mit zu wenig Gehirnschmalz um sich kulinarisch weiterzuentwickeln. Man könnte an dieser Stelle Vermutungen über seinen weiteren Werdegang anstellen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird sein Weg im Magen eines Fans, der ebenso geschmacksverirrt wie sein filmisc hes Machwerk sein würde, enden.
Der neue und offene Umgang mit der zu lange tabuisierten Menschenfresserei würde den Umgang der Menschen mit dem Tod insgesamt positiv und stark beeinflussen; er erschiene selbst den Ungläubigen auf einmal nicht mehr völlig sinnlos. Infolgedessen würde sich auch der Umgang mit dem kranken oder missgebildeten Fleisch verändern. Es ist wie es ist, ein Hinken, ein Schielen, ein Wasserkopf - so etwas konnte einem die Freude am ganzen Kind verderben. Doch mit in Kraft treten der neuen Weltordnung müsste man sich nicht mehr ständig Sorgen machen, wer denn auf das behinderte Kind aufpassen soll, während man selbst zirka drei verschiedenen Berufen nachgehen musste; um sich die regelmäßigen Besuche des invaliden Fleisches bei Quacksalbern in weißen Kitteln leisten zu können. Immerhin waren die Zeiten, in denen man als nicht gesunder Mensch eine Mitgliedschaft bei den wenigen verbliebenen Krankenkassen bekommen konnte, längst Geschichte. Humanerweise könnte man deformiertes Fleisch, die ungeliebte, beschädigte Ware, kostenfrei entsorgen und es hernach sehr günstig an die großen Fast-Food-Ketten vertreiben. Dauerhaft wäre so der Schritt weg vom unappetitlichen Analog-Fleisch zu schaffen.
Die Sterbenskranken könnten endlich zum Zeitpunkt ihrer Wahl einen letzten tiefen Atemzug tun. Denn die bislang so verpönte aktive Sterbehilfe würde endlich gesellschaftliche Akzeptanz finden. Das Leiden der Alten, die ihr Leben gelebt hatten und das der lebensmüden Kranken würde nicht mehr unnötig und unerwünscht verlängert werden. Und der Altenpflegermafia würde der Wind endlich einmal ins Gesicht und nicht immer nur in den rheuma- un d gichtgeplagten Rücken blasen.
Wahrhaftig, die Verbesserungen, die durch eine gute Ernährung zu erzielen wären, könnte man in vielen Bereichen spüren. Sein Erfolg war praktisch gewiss, denn einzig wahrhaft vollendete Rezepte, die seinen anspruchsvollen und kritischen Gaumen beispiellos befriedigten, fanden ihren Weg in das Original. Weniger als Perfektion ließ er in dieser Angelegenheit nicht gelten. Doch nicht nur bei der Auswahl der Gerichte, auch bei der Gestaltung, dem Layout der Urschrift, hatte er sich große Mühe gegeben. Ihr Leben ließen dafür eine alte Frau, die sich auf das Schöpfen edlen Büttenpapiers von Hand verstand, ein Buchbinder und ein sich selbst maßlos überschätzender TV-Koch. Der seit ein paar Jahren vermisste Platzhirsch in der Kocharena, Henry Conan, würde sich durch die großzügige Bereitstellung des Leders für den Einband nun doch noch einen verdienten Namen in der Gastronomie machen. Obendrein, um sich für die fast freiwillige Spende erkenntlich zu zeigen, hatte Franklin ein Rezept nach ihm benannt - Conan das Tatar.
Kapitel 7 - Hausbesuch
Was die Welt in diesem Augenblick sucht, ist viel weniger ein Gleichgewicht als eine Sprache . (Jean Giraudoux)
Nachdem er seine Formalitäten erfolgreich erledigt hatte, machte Franklin sich auf den Weg in die Wohnung, die das Fleisch niemals wieder betreten würde. Eine Zeitlang observierte er die Fenster, spähte ob irgendwo Licht brannte und als er sich einigermaßen sicher war, dass wirklich niemand zu Hause war benutzte er den in der Handtasche gefundenen Schlüssel um sich Einlass zu verschaffen. Wie erwartet war die Behausung unspektakulär, armselig geradezu, aber zumindest besaß sie einen rustikalen Charme. Dem ungeachtet, dies war kein standesgemäßes Umfeld für seine Person. Er würde seine Anwesenheit auf das Nötigste beschränken. In eine Tasche, die er im Schrank fand, packte er die Hose und den Pulli, der noch auf dem Bett lag. Erstens hasste er Unordnung und zweitens war es ihm klar, dass niemand glauben würde, die Beute wäre verreist, wenn es im Haus so aussah, als hätte sie
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