Franklin Gothic Medium (German Edition)
allen drei Armen und küssten sich leidenschaftlich, aber nicht mit Zunge. Groß war die Freude und wurde nur überschattet von den widrigen Umständen. Die anschließende Konversation gestaltete sich etwas einseitig, doch sie störten sich nicht daran. Naomi genoss es, dass Fou-Mai ihr endlich einmal zuhörte ohne sie dauernd zu unterbrechen und Fou-Mai, mild gestimmt durch die vorangegangene Angst um Naomis Leben, verzieh ihr mit einem simplen Lächeln all ihre Sünden. Danach liebten sie sich, lange und ausgiebig. Naomi verwöhnte Fou-Mai mit exklusiven Zungenspielen, ließ sich selbst zu Wachs in den noch vollständig vorhandenen Fingern der Anderen werden und einen vergessenen Augenblick lang schien Fortuna ihnen zuzulächeln und die Welt vollkommen in Ordnung.
Doch natürlich konnte dieses gnädige Vergessen in den Armen der Lust kein Dauerzustand sein! Schon bald holte die Realität sie gnadenlos und unvermeidlich ein, wie ein ausdauernder Gegner in einem Marathon, bei dem man selbst bereits auf halber Strecke mit einem Wadenkrampf kämpft.
Es erklang ein metallisches Klimpern. Der Schlüssel des Peinigers entriegelte die schützende Tür. Und hereingeschoben wurde das Schrecklichste, was sie je auf einem Teller hatten liegen sehen. Ein Essen, welches man getrost als Abendmahl, in den Tiefen der Hölle, dem Herrscher der Unterwelt persönlich servieren könnte: Naomis Arm, schon so weit abgenagt, dass man den spitzen Ellbogen, die Knorpel der Finger und die Knochen selbst durch die nur noch dünne Fleischschicht erahnen konnte. Dazu ein paar Möhren.
Kapitel 25 - Spekulation
Ohne Spekulation gibt es keine neue Beobachtung. (Charles Darwin, 1809 - 1 892)
Arbeitsreiche Wochen und Monate lagen hinter Franklin. Er hatte Tonnen von Fleisch geräuchert, Teile davon fein gepökelt und währenddessen, als wäre er ein Bauer, täglich das Fleisch in der Stallung versorgt. Nachdem er gesehen hatte, wie sehr sich das Fleisch über die Gegenwart des Anderen freute und wie putzig ihr liebevolles Gehabe im Umgang miteinander anzusehen war, hatte er es nicht übers Herz gebracht, eines davon, oder gar beide, zu schlachten. Also erweiterte er ihren Verschlag, baute ein Sichtfenster aus nahezu unzerstörbarem Panzerglas ein und erfreute sich täglich an ihrem Anblick, selt ener jedoch an ihrem Geschmack.
An einem besonders sonnigen und warmen Tag im Spätsommer hatte er sich sogar die Mühe gemacht, als würde er das Vieh auf die saftig grüne Weide treiben, den beiden Grazien im Keller etwas Auslauf zu verschaffen. Selbstverständlich an der langen Leine, vorsichtigerweise bewaffnet mit einem elektrischen Viehtreiber, hatte er die Zwei in den weitläufigen, uneinsichtigen Garten geführt und wollte sie dort ein wenig in der Sonne herumtollen lassen. Doch der sprichwörtliche Schuss ging nach hinten los. Dem störrischeren der beiden Exemplare gelang es, sich von der Leine loszureißen und fast wäre es ihm entkommen. Nur der Stacheldraht, den er vorausschauend entlang des oberen Randes der Gartenmauer, welche er in den Sommermonaten eigens errichten ließ, gespannt hatte, sowie der geschickte Einsatz des elektrischen Stocks verhinderten die Flucht. Dieses kindische und alberne Fluchtverhalten verärgerte ihn zutiefst. Zur Strafe, in der Hoffnung es werde aus seinen Fehlern lernen, amputierte er dem bockbeinigen Ding noch am selben Abend die springfreudigen Füße. Die Strafmaßnahme wirkte und aus einem aufmüpfigen Springböckchen wurde ein sanftes, fügsames Schaf in seiner kleinen Herde.
Man hatte zu akzeptieren, der Kapitän dieses Geisterschiffes war er und er allein hatte zu entscheiden, wohin der alte Kahn segelte. Doch leider hatte der zweite Maat nichts aus den Fehlern des ersten gelernt und trachtete danach, seine eigene Meuterei anzuzetteln. Als er in einem unachtsamen Moment ein Messer in ihrer Reichweite liegen ließ wagte das ungezogene Stück tatsächlich danach zu greifen, fuchtelte drohend damit vor seinem Gesicht herum. Sie schaffte es sogar, ihm eine kleine Wunde unter dem rechten Auge zuzufügen, die eine bleibende Narbe hinterlassen hatte. Auch sie brauchte wohl eine kleine Lektion und diese ließ er ihr lehrmeisterhaft auch umgehend zuteilwerden . Nachdem sie so dann auch noch ihren zweiten Arm verloren hatte, büßte sie erfreulicherweise auch einen Teil ihres Temperaments ein; den tretenden Füßen alleine ließ sich deutlich leichter ausweichen, wenn sie den
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