Franz Sternbalds Wanderungen
die hohen Pyramiden, Memnons wundersame Bildsäule, und immer das Gefühl der alten Geschichten mit sich herumzutragen, noch einzelne lebende Laute aus der längst entflohenen Heldenzeit zu vernehmen, übers Meer nach Griechenland hinüberzublicken, zu träumen, wie die Vorwelt aus dem Staube sich wieder emporgearbeitet, wie wieder griechische Flotten landen – oh, alles das in unbegreiflicher Gegenwart nun vor sich zu haben, könnt Ihr gegen Euer Glück wirklich so undankbar sein?« –
»Ich bin es nicht«, sagte Ludovico, »und mir sind diese Empfindungen auch oft auf den Bergen, an der Seeküste durch die Brust gegangen. Oft faßte ich aber auch eine Handvoll Sand, und dachte: ›Warum bist du nun so mühsam, mit so mancher Gefahr, so weit gereist, um dies Teilchen Erde zu sehn, das Sage und Geschichte dir nun so lange nennt? Ist denn die übrige Erde jünger? Darfst du dich in deiner Heimat nicht verwundern? Sieh die ewigen Felsen dort an, den Ätna in Sizilien, den alten Schlund der Charybdis. Und mußt du dich verwundern, um glücklich zu sein?‹ – Ich sagte dann zu mir selber: ›Tor! Tor!‹ und wahrlich, ich verachtete in eben dem Augenblicke den Menschen, der diese Torheit nicht mit mir hätte begehen können.«
Unter mancherlei Erzählungen verstrich auch dieser Tag, der Einsiedel sagte oft: »Ich begreife nicht, wie ich in eurer Gesellschaft bin, ich bin wohl und sogar lustig, ja meine Lebensweise ist mir weniger angenehm, als bisher. Ihr steckt uns alle mit der Reisesucht an; ich glaubte über alle Torheiten des Lebens hinüber zu sein, und ihr weckt eine neue Lust dazu in mir auf.«
Am folgenden Morgen nahmen sie Abschied; der Pilgrim hatte sich mit dem Einsiedel völlig versöhnt, sie schieden als gute Freunde. Ludovico führte den Zug an, die übrigen folgten ihm.
Auf dem Wege erkundigte sich Ludovico nach Sternbald und seinem Gefährten Florestan, er lachte über diesen oft, der sich alle Mühe gab, von ihm bemerkt zu werden, Sternbald war still, und begleitete sie in tiefen Gedanken. Ludovico sagte zu Franz, als er hörte, dieser sei ein Maler: »Nun, mein Freund, wie treibt Ihr es mit Eurer Kunst? Ich bin gern in der Gesellschaft von Künstlern, denn gewöhnlich sind es die wunderlichsten Menschen, auch fallen wegen ihrer seltsamen Beschäftigung alle ihre Launen mehr in die Augen, als bei andern Leuten. Ihr Stolz macht einen wunderlichen Kontrast mit ihrem übrigen Verhältnis im Leben, ihre poetischen Begeisterungen tragen sie nur zu oft in alle Stunden über, auch unterlassen sie es selten, die Gemeinheit ihres Lebens in ihre Kunstbeschäftigungen hineinzunehmen. Sie sind schmeichelnde Sklaven gegen die Großen, und doch verachten sie alles in ihrem Stolze, was nicht Künstler ist. Aus allen diesen Mißhelligkeiten entstehen gewöhnlich Charaktere, die lustig genug ins Auge fallen.«
Franz sagte beschämt: »Ihr seid ein sehr strenger Richter, Herr Ritter.«
Ludovico fuhr fort: »Ich habe noch wenige Künstler gesehen, bei denen man es nicht in den ersten Augenblicken bemerkt hätte, daß man mit keinen gewöhnlichen Menschen zu tun habe. Fast alle sind unnötig verschlossen und zudringlich offenherzig. Ich habe mich selbst zuweilen geübt, dergleichen Leute darzustellen, und es niemals unterlassen, diese Seltsamkeiten in das hellste Licht zu stellen. Es fällt gewiß schwer, Mensch wie die übrigen zu bleiben, wenn man sein Leben damit zubringt, etwas zu tun und zu treiben, wovon ein jeder glaubt, daß es übermenschlich sei: in jedem Augenblicke zu fühlen, daß man mit dem übrigen Menschengeschlechte eben nicht weiter zusammenhänge. Diese Sterblichen leben nur in Tönen, in Zeichen, gleichsam in einem Luftreviere wie Feen und Kobolde, es ist nur scheinbar, wenn man sie glaubt die Erde betreten zu sehen.«
»Ihr mögt in einiger Hinsicht nicht unrecht haben«, sagte Franz.
»Wer sich der Kunst ergibt«, sagte jener weiter, »muß das, was er als Mensch ist und sein könnte, aufopfern. Was aber das schlimmste ist, so suchen jene Leute, die sich für Künstler wollen halten lassen, noch allerhand Seltsamkeiten und auffallende Torheiten zusammen, um sie recht eigentlich zur Schau zu tragen, als Orden oder Ordenskreuz, in Ermangelung dessen, damit man sie in der Ferne gleich erkennen soll, ja sie halten darauf mehr, als auf ihre wirkliche Kunst. Hütet Euch davor, Herr Maler.«
»Man erzählt doch von manchem großen Manne«, sagte Franz, »der von dergleichen Torheiten frei
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