Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Franz Sternbalds Wanderungen

Franz Sternbalds Wanderungen

Titel: Franz Sternbalds Wanderungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ludwig Tieck
Vom Netzwerk:
daß es mir geschienen hat, als wärt Ihr ein paarmal unnötigerweise von der wahren Einfalt des Gegenstandes abgewichen. So gedenke ich an ein paar Kupferstiche, wo vorne Leute mit großen Mänteln stehn, die dem Zuschauer den Rücken zuwenden, da sie uns wohl natürlicher das Angesicht hätten zukehren dürfen. Hier habt Ihr nach meinem einfältigen Urteil nur etwas Neues anbringen und durch die großen Mantelfiguren die Kontrastierung mit den übrigen Personen im Bilde verstärken wollen; aber es kömmt doch etwas gezwungen heraus.«
    »Ihr habt recht, Albert«, sagte Lukas, »ich sehe, Ihr seid ein schlauer Kopf, der mir meine Münzen wiederzugeben weiß. Ich habe mich öfter darauf ertappt, daß ich ein Bild verdorben habe, wenn ich es habe besser machen wollen, als ich es auf Euren Platten gesehn hatte. Denn man verliert gar zu leicht den ersten Gedanken aus den Augen, der doch sehr oft der allerwahrste und beste ist; nun putzt man am Bilde herum und über lang oder kurz wird es ein Ding, das einen mit fremden Augen ansieht, und sich auf dem Papiere oder der Tafel selber nicht zu finden weiß. Da seid Ihr glücklicher und besser daran, daß Euch die Erfindung immer zu Gebote steht; denn so ist es Euch fast unmöglich, in einen solchen Fehler zu fallen. – Wie macht Ihr es aber, Albrecht, daß Ihr so viele Gedanken, so viele Erfindungen in Eurem Kopfe habt?«
    »Ihr irrt Euch an mir«, sagte Albrecht, »wenn Ihr mich für so erfindungsreich haltet. Nur wenige meiner Bilder sind aus dem bloßen Vorsatz entstanden, sondern es war immer eine zufällige Gelegenheit, die sie veranlaßte. Wenn ich irgendein Gemälde loben, oder eine der heiligen Geschichten wieder erzählen höre, so regt sich's plötzlich in mir, daß ich ein ganz neues Gelüst empfinde, gerade das und nichts anderes darzustellen. Das eigentliche Erfinden ist gewiß sehr selten, es ist eine eigene und wunderbare Gabe, etwas bis dahin Unerhörtes hervorzubringen. Was uns erfunden scheint, ist gewöhnlich nur aus älteren schon vorhandenen Dingen zusammengesetzt, und dadurch wird es gewissermaßen neu; ja der eigentliche erste Erfinder setzt seine Geschichte oder sein Gemälde doch auch nur zusammen, indem er teils seine Erfahrungen, teils was ihm dabei eingefallen, oder was er sich erinnert, gelesen, oder gehört hat, in eins faßt.«

»Ihr habt sehr recht«, sagte Lukas, »etwas im eigentlichsten Verstande aus der Luft zu greifen, wäre gewiß das Seltsamste, das dem Menschen begegnen könnte. Es wäre eine ganz neue Art von Verrückung, denn selbst der Wahnsinnige erfindet seine Fieberträume nicht. Die Natur ist also die einzige Erfinderin, sie leiht allen Künsten von ihrem großen Schatze; wir ahmen immer nur die Natur nach, unsre Begeisterung, unser Ersinnen, unser Trachten nach dem Neuen und Vortrefflichen ist nur wie das Achtgeben eines Säuglings, der keine Bewegung seiner Mutter aus den Augen läßt. – Wißt Ihr aber wohl, Albrecht, welchen Schluß man aus dieser Bemerkung ziehen könnte? Daß es also in den Sachen selbst, die der Poet oder Maler, oder irgendein Künstler darstellen wollte, durchaus nichts Unnatürliches geben könne, denn indem ich als Mensch auf den allertollsten Gedanken verfalle, ist er doch an sich natürlich und der Darstellung und Mitteilung fähig. Von dem Felde des wahrhaft Unnatürlichen sind wir durch eine hohe Mauer geschieden, über die kein Blick von uns dringen kann. Wo wir also in irgendeinem Kunstwerk Unnatürlichkeiten, Albernheit, oder Unsinn wahrzunehmen glauben, die unsre gesunde Vernunft und unser Gefühl empören, da müßte dies immer nur daher rühren, daß die Sachen auf eine ungehörige und unvernünftige Art zusammengesetzt wären, daß Teile daruntergemengt sind, die nicht hineingehören, und die übrigen so verbunden, wie es nicht sein sollte. So müßte also ein höherer Geist, als derjenige war, der es fehlerhaft gemacht hatte, aus allem Möglichen etwas Vortreffliches und Würdiges hervorbilden können.«
    Dürer nickte mit dem Kopfe Beifall, und wollte eben das Gespräch fortsetzen, als Lukas' Frau ausrief: »Aber, lieben Leute, hört endlich mit euren gelehrten Gesprächen auf, von denen wir Weiber hier kein Wort verstehn. Wir sitzen hier so ernsthaft wie in der Kirche, verspart alle eure Wissenschaften bis das Mittagsessen vorüber ist.« – Sie schenkte hierauf einem jeden ein großes Glas Wein ein, und erkundigte sich bei Dürer, was er auf der Reise Neues gesehn und gehört habe.

Weitere Kostenlose Bücher