Franz Sternbalds Wanderungen
Albrecht erzählte, und Franz Sternbald saß in tiefen Gedanken. In den letzten Worten des Lukas schien ihm der Schlüssel, die Auflösung zu allen seinen Zweifeln zu liegen, nur konnte er den Gedanken nicht deutlich fassen; er hatte von seinem Lehrmeister noch nie eine ähnliche Äußerung über die Kunst gehört, es schien ihm sogar, als wenn Dürer auf diesen Gedanken nicht so viel gebe, als er wert sei, daß er die Folgen nicht alle bemerke, die in ihm lägen. Er konnte auf das jetzige Gespräch nicht achtgeben, vorzüglich da die Niederländerin anfing, sich nach allen Nürnbergischen Trachten der verschiedenen Stände zu erkundigen, und ihre Bemerkungen darüber zu machen.
Plötzlich sprang Lukas mit seiner Behendigkeit vom Tische auf, fiel seiner Frau um den Hals und rief aus: »Mein liebstes Kind, du mußt es mir jetzt doch schon vergönnen, daß ich mit Meister Albrecht wieder etwas über die Malerei anfange, denn mir ist da eine Frage eingefallen. Es wäre ja Sünde, wenn ich den Mann hier in meinem Hause hätte, und nicht alles vom Herzen lossprechen sollte.«
»Meinetwegen magst du es halten, wie du willst«, antwortete sie; »aber was werden deine Gäste dazu sagen?«
»Darüber seid ohne Sorgen«, sagte die fremde schöne Frau, »können wir beide doch miteinander sprechen, denn mein Mann ist heut bloß des berühmten Deutschen wegen hergekommen, da er eigentlich dringende Geschäfte hat, und er ist auch einer von denen, die nie von Kunst und Büchern genug können reden hören, er bekümmert sich nie, was in der Welt vorfällt, außer es müßte sich etwa wieder mit Martin Luther etwas zugetragen haben.«
»Daß wir den Mann vergessen konnten!« rief Dürer aus, indem er sein volles Glas in die Höhe hob: »Er soll leben! Noch lange soll der große Doktor Martin Luther leben! Der Kirche, und uns allen zu Heil und Frommen!«
Der Fremde stieß gerührt und mit leuchtenden Blicken an, auch Lukas, welcher lächelte. »Es ist zwar eine ketzerische Gesundheit«, sagte er, »aber Euch zu Gefallen will ich sie doch trinken. Ich fürchte nur, die Welt wird viele Trübsale zu überstehen haben, ehe die neue Lehre durchdringen kann.«
Albrecht antwortete: »Wann wir im Schweiß unsers Angesichts unser Brot essen müssen, so verlohnt es ja wohl die Wahrheit, daß wir Qual und Trübsal ihretwegen aushalten.«
»Nun, das sind alles Meinungen«, antwortete Lukas, »die eigentlich vor den Theologen und Doktor gehören, ich verstehe davon nichts. – Ich wollte vorher, Meister Albrecht, eine andre Frage an Euch tun. – Es hat mir immer sehr an Euren Bildern gefallen, daß Ihr manchmal die neuern Trachten auch in alten Geschichten abkopiert, oder daß Ihr Euch ganz neue wunderliche Kleidungen ersinnt. Ich habe es ebenfalls nachgeahmt, weil es mir sehr artlich dünkte.«
Albrecht antwortete: »Ich habe dergleichen immer mit überlegtem Vorsatze getan, weil mir dieser Weg kürzer und besser schien, als die antikischen Trachten eines jeden Landes und eines jeden Zeitalters zu studieren. Ich will ja den, der meine Bilder ansieht, nicht mit längst vergessenen Kleidungsstücken bekannt machen, sondern er soll die dargestellte Geschichte empfinden. Ich rücke also die biblische oder heidnische Geschichte manchmal meinen Zuschauern dadurch recht dicht vor die Augen, daß ich die Figuren in den Gewändern auftreten lasse, in denen sie sich selber wahrnehmen. Dadurch verliert ein Gegenstand das Fremde, besonders da unsre Tracht, wenn man sie gehörig auswählt, auch malerisch ist. Und denken wir denn wohl an die alte Kleidungsart, wenn wir eine Geschichte lesen, die uns rührt und entzückt? Würden wir es nicht gerne sehen, wenn Christus unter uns wandelte, ganz wie wir selber sind? Man darf also die Menschen nur nicht an das sogenannte Kostüm erinnern, so vergessen sie es gerne. Die Darstellung der fremden Gewänder wird überdies in unsern Gemälden leicht tot und fremd, denn der Künstler mag sich gebärden wie er will, die Tracht setzt ihn in Verlegenheit, er sieht niemand so gehen, er ist nicht in der Übung, diese Falten und Massen zu werfen, sein Auge kann nicht mitarbeiten, die Imagination muß alles tun, die sich dabei doch nicht sonderlich interessiert. Ein Modell, auf dem man die Gewänder ausspannt, wird nimmermehr das tun, was dem Künstler die Wirklichkeit leistet. Außerdem scheint es mir gut, wie ich auch immer gesucht habe, die Tracht der Menschen physiognomisch zu brauchen, so daß sie den Ausdruck
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