Franz Sternbalds Wanderungen
Deutschland zurückkommen? Nein, Ihr müßt leben, noch lange, lange, Euch, mir und dem Vaterlande!«
»Wie wir uns heut trennen müssen«, sagte Dürer, »so muß ich doch irgendeinmal sterben, es sei wenn es sei. Je früher, je weniger Lebensmühe; je später, je mehr Sorgen. Aber komm bald zurück, wenn du kannst.«
Er segnete hierauf seinen jungen Freund, und betete inbrünstig zum Himmel. Franz sprach in Gedanken seine Worte nach, und war in einer frommen Entzückung; dann umarmten sich beide, und Dürer ging wie ein großer Schatten von ihm weg. Franz sah ihm nach, und der Mondschimmer und die Bäume dämmerten ungewiß um ihn. Plötzlich stand der Schatten still, und bewegte sich wieder rückwärts. Dürer stand neben Franz, nahm seine Hand und sagte: »Und wenn du mir künftig schreibst, so nenne mich in deinen Briefen du und deinen Freund, denn du bist mein Schüler nicht mehr.« – Mit diesen Worten ging er nun wirklich fort, und Franz verlor ihn gänzlich aus den Augen. Die Nacht war kalt, die Wächter der Stadt zogen vorüber und sangen, die Glocken schlugen feierlich. Franz irrte noch eine Zeitlang umher, dann begab er sich nach seiner Herberge, aber er konnte nicht schlafen.
Fünftes Kapitel
Der Morgen kam. Franz hatte eine Gesellschaft gefunden, die auf dem Kanal mit einem Schiffe nach Rotterdam fahren wollte, dort wollten sie dann ein größeres nehmen, um vollends nach Antwerpen zu kommen.
Es war helles Wetter, als sie in das Boot stiegen; die Gesellschaft schien bei guter Laune. Franz betrachtete sie nach der Reihe, und keiner darunter fiel ihm besonders auf, außer ein junger Mensch, der einige zwanzig Jahr alt zu sein schien, und ungemein schön von Gesicht und sehr anmutig in seinen Gebärden war. Franz fühlte sich immer mehr zu den jüngern als zu den ältern Leuten hingezogen; er sprach mit den letztern ungern, weil er nur selten in ihre Empfindungen einstimmen konnte. Bei alten Leuten empfand er seine Beschränkung noch quälender, und er merkte es immer, daß er ihnen zu lebhaft, zu jugendlich war, daß er sich gemeiniglich an Dingen entzückte, die jenen immer fremd geblieben, und daß sie doch zuweilen mit einem gewissen Mitleiden, mit einer hoffärtigen Duldung auf ihn hinabblickten, als wenn er endlich allen diesen Gefühlen und Stürmen vorüberschiffen würde, um in ihr ruhiges kaltes Land festen Fuß zu fassen. Vollends demütigte es ihn oft, wenn sie dieselben Gegenstände liebten, die er verehrte; Lob und Tadel, Anpreisung und Nachsicht aber mit so scheinbarer Gerechtigkeit austeilten, daß von ihrer Liebe fast nichts übrigblieb. Er dagegen war gewohnt aus vollem Herzen zu zahlen, seine Liebe nicht zu messen und einzuschränken, sondern es zu dulden, daß sie sich in vollen Strömen durch das Land der Kunst, sein Land der Verheißung ergoß; je mehr er liebte, je wohler ward ihm. – Er konnte sein Auge von dem Jünglinge nicht zurückziehn, die lustigen hellen braunen Augen und das gelockte Haar, eine freie Stirn, und dazu eine bunte, fremdartige Tracht machten ihn zum Gegenstand seiner Neugier.
Das Schiff fuhr fort, und man sah links weit in das ebene Land hinein. Die Gesellschaft schien nachdenkend, oder vielleicht müde, weil sie alle früh aufgestanden waren; nur der Jüngling schaute unbefangen mit seinen großen Augen umher. Ein ältlicher Mann zog ein Buch hervor und fing an zu lesen; doch es währte nicht lange, so schlummerte er. Die übrigen schienen ein Gespräch zu wünschen.
»Der Herr Vansen schläft«, sagte der eine zu seinem Nachbar, »das Lesen ist ihm nicht bekommen.«
»Er schläft nicht so, Nachbar Peters, daß er Euch nicht hören sollte«, sagte Vansen, indem er sich ermunterte. »Ihr solltet nur etwas erzählen, oder ein lustiges Lied singen.«
»Ich bin heiser«, sagte jener, »Ihr wißt es selber; auch hab ich eigentlich seit Jahr und Tag das Singen schon aufgegeben.«
Der fremde Jüngling sagte: »Ich will mich wohl anbieten, ein Lied zu singen, wenn ich nur wüßte, daß die Herren es mit der Poesie nicht so genau nehmen wollen.«
Sie versicherten ihn alle, daß es nicht geschehn würde, und jener sprach weiter: »Es ist auch nur, daß man sich das bißchen Freude verbittert; alle Lieder, die ich gern singe, müssen sich hübsch geradezu, und ohne Umschweife ausdrücken. Ich will also mit eurer Erlaubnis anfangen.
Über Reisen kein Vergnügen,
Wenn Gesundheit mit uns geht:
Hinter uns die Städte liegen,
Berg und Waldung vor mir
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