Franz Sternbalds Wanderungen
Liebe selbst, mit Wohlwollen, ja Zärtlichkeit kommt sie jedem entgegen, sie weiß Vertrauen zu erregen, und bald meint der Getäuschte, daß er ihr unentbehrlich sei. Doch wie ihm das lose Spiel sich in Ernst verwandelt, wie sie es fühlt, daß jener sie sucht und wünscht, daß das leichte Verhältnis sich fest und fester knüpfen soll, so zieht sie sich zurück, doch ohne den Faden zu zerschneiden, an welchem der Gefangene flattert. So hatten sich ihr viele Männer mancherlei Gemütes aus der Nachbarschaft und Ferne genähert, und alle waren in diese seltsame Jagd befangen worden. So gewöhnt, aus dem Leben, der Liebe, der Rührung und dem süßen Wechsel zarter Empfindungen ein Spiel zu machen, und jeden neuen Gegenstand als Spiegel zu gebrauchen, in welchem sie sich selbst nur mit Wohlgefallen betrachtete, erschien ihr endlich jener Ritter aus Franken, von dem sie Euch erzählt hat. Er war ein feingebildeter, ja schöner Mann, weich und poetisch wie sie selbst, ebenso in Träumen lebend und süßen Gefühlen schwelgend. Sie wurden sich bald unentbehrlich, einer schien des andern nur bedurft zu haben, um den ganzen Reichtum seines innern Lebens zu erkennen und zu genießen. Endlich war gefunden, was sie umsonst bisher gesucht hatte, und sie erklärten laut ihre bevorstehende Verbindung.
Das ernste Wort war ausgesprochen, welches den Liebenden seines unwandelbaren Glückes versichert, beide aber schienen vor diesem Ernst des Lebens zurückzuzittern, der alle ihre Träume und ihr buntes Spielwerk zu zerbrechen drohte. Und gewiß, hat die Leidenschaft nicht so alle Kräfte ergriffen, die tiefste Sehnsucht das ganze Herz so durchdrungen, daß beide sich wie zum Tode gern und willig opfern, und keine Jugend mehr leben, und keine neuen Wünsche und Rührungen mehr finden wollen, so darf die Seele, die in den Wogen des Wohllauts schwimmt und mit Träumen der Entzückungen gaukelt, davor erzittern, daß nun das Höchste, das letzte Ziel errungen werden soll, hinter welchem Wahrheit, Ruhe, stille Befriedigung, wie ebenso viele graue Gespenster hervorzudrohen scheinen. So denke ich mir ihren Zustand, um mir einigermaßen zu erklären, was geschah. Er mochte in sich, noch mehr aber im Gegenstande seiner Liebe fühlen, wie das Herz noch etwas anderes als dieser Liebe bedürfe, wie sie nicht ihn selbst, sondern nur die Schimmer der Phantasie vergötterte, die aus ihr zu ihm hinüberleuchteten, und darum erweckte er sich freiwillig aus seinem Traume, und entfloh.
Sie war tief gekränkt, gestört, aber wie ich sie kenne, nicht wahrhaft unglücklich. Die Trauer und der Schmerz waren noch nie in ihre Seele gekommen, nun konnte sie sich an diesen üben, und sie zu ihren Spielgefährten machen. Sie schmückte sie auch so reizend auf, sie machte sie so schön, daß man zugeben mußte, daß sich neue wundersame Gaben und Bezauberungen an diesem verführerischen Weibe durch sie enthüllten, und ich machte die Erfahrung, daß ich sie anbetete, indem ich ihr zu zürnen glaubte, daß alle jene Mängel, die ich zu kennen wähnte und in stolzer Sicherheit schalt, sich plötzlich gegen mich selbst umwandten, und mir so holde Engelsangesichter zeigten, daß ich verehrend, geblendet niederfiel, und freudig meinem Verderben entgegeneilte.
Jetzt wurde ich ihr Vertrauter und tröstender Freund. Entfliehe der Mann doch diesen Klagen und Tränen eines schönen Weibes, diese Flut der geschmolzenen Perlen nimmt ihn unwiderstehlich mit, er tritt in die Vorhalle zum Herzen seiner Freundin und will bald selbst der Gegenstand ihrer Trauer und Tränen werden. Sie mochte sich nicht an dem gewöhnlichen Trost, an Musik, an Zerstreuung begnügen, ihr Leben selbst wollte sie zu einem Gedichte erhöhen, und ich war derjenige, der ihr zum Dichter und Maler ihrer Szenen dienen mußte. Sie liest die herrlichen Liebesgedichte unsrer Vorfahren, sie kennt sie alle und ich trug sie ihr von neuem vor, und jeder rührende Vers, jede Schilderung, in der sie Beziehung entdeckte, ward wiederholt, hergesagt, auswendig gelernt und gesungen. Aber sie befriedigt sich damit nicht, ich muß ihr eigne neue Lieder dichten, die wir abwechselnd singen, wie Ihr denn neulich eins dergleichen bei Eurer Ankunft gehört habt, diese müssen einfach in wenigen Akzenten das Gefühl gleichsam mehr anklingen, als aussprechen. So schweifen wir durch die Wälder, jagen, singen, und erfreuen uns der Natur und der Einsamkeit, die Waldhörner müssen den Schmerz mit ihren Tönen
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