Franzen, Jonathan
Patty kopfschüttelnd, «aber dafür kann Connie doch nichts.» Die Paulsens allerdings waren nicht bereit, sich mit
«seltsam» zufriedenzugeben. Sie wollten soziopathisch, sie
wollten passiv-aggressiv, sie wollten schlecht Es war
unabdingbar für sie, dass Patty wenigstens
eines dieser Attribute wählte und es in Übereinstimmung mit ihnen auf Carol Monaghan anwendete, aber Patty war
außerstande, über «seltsam» hinauszugehen, und so blieben die Paulsens
ihrerseits bei ihrer Weigerung, Connie auf die
Einladungsliste zu setzen. Immerhin ärgerte sich Patty über diese Ungerechtigkeit so sehr, dass sie mit ihren Kindern plus
Connie und einer Schulfreundin am Nachmittag der Party auf einer
Kürbisfarm eine Heuwagenspukfahrt machte, aber im Beisein anderer sagte sie
über die Paulsens schlimmstenfalls, eine solche Gemeinheit gegenüber einer
Siebenjährigen sei doch seltsam.
Carol Monaghan war die einzige andere Mutter in der Barrier Street, die schon genauso lange dort wohnte wie Patty. Als ehemalige Sekretärin eines hohen Beamten im Hennepin
County war sie, wenn man so will, mittels eines
Protektions-Austauschprogramms in Ramsey Hill
gelandet, nachdem besagter Beamte sie geschwängert hatte. Die Mutter seines
unehelichen Kindes auf der Gehaltsliste des eigenen Büros stehen zu lassen:
Spätestens gegen Ende der siebziger Jahre gab es in der Twin-Cities-Region
nicht mehr allzu viele Gerichtsstände, in denen sich das mit kluger Politik
vereinbaren ließ. Carol wurde zu
einer der unkonzentrierten, Pausen machenden Angestellten der Stadtverwaltung,
und im Gegenzug bekam jemand aus St. Paul, der ähnlich gute Beziehungen
unterhielt, eine Stelle auf der anderen Seite des Flusses. Das Haus zur Miete
in der Barrier Street, gleich neben den
Berglunds, war vermutlich Teil der Abmachung gewesen; sonst war schwer zu
verstehen, warum Carol eingewil ligt haben
sollte, in einer Gegend zu wohnen, die damals praktisch noch ein Elendsviertel
war. Im Sommer fuhr einmal die Woche bei Abenddämmerung, in einem
Allradfahrzeug ohne Kennzeichen, ein vor sich hin stierender Jugendlicher in
der Montur des städtischen Grünanlagenamts bei ihr vor und schob einen
Rasenmäher durch ihren Garten, und im Winter sah man denselben Jugendlichen mit
einer Schneefräse vor ihrem Haus den Gehweg räumen.
Gegen Ende
der achtziger Jahre war Carol die
Einzige im ganzen Viertel, die zu dessen Verbürgerlichung nichts beitrug. Sie
rauchte Parliaments, bleichte
sich die Haare, machte aus ihren Nägeln grelle Krallen, gab ihrer Tochter
heftigst verarbeitete Lebensmittel zu essen und war jeden Donnerstagabend sehr
lange aus («Moms freier Abend», erklärte sie, als hätten alle Mütter einen),
verschaffte sich dann mit einem ihr von den Berglunds ausgehändigten Schlüssel
Zutritt zu deren Haus und holte die schlafende Connie ab, die Patty unter
mehreren Decken auf ein Sofa gebettet hatte. Mit unnachgiebiger Großmut hatte Patty immer wieder angeboten, sich um Connie zu
kümmern, wenn Carol arbeitete
oder einkaufen war oder sich ihren Donnerstagabenddingen widmete, und Carol verließ sich mittlerweile sehr auf diese unzähligen kostenlosen
Babysitterdienste. Es konnte Pattys Aufmerksamkeit
nicht entgangen sein, dass Carol ihr diese Großmut vergalt, indem sie ihre
eigene Tochter Jessica ignorierte und übertrieben für ihren Sohn Joey schwärmte («Kriege ich noch ein Küsschen von meinem Herzensbrecher?»)
und bei Nachbarschaftstreffen, in ihren hauchdünnen Blusen und auf Cocktailkellnerinnenabsätzen,
sehr dicht neben Walter stand, dessen Geschicklichkeit beim Eigenheimausbau
lobte und über alles, was er sagte, vor Lachen schrie; jahrelang jedoch sagte Patty über Carol schlimmstenfalls,
alleinerziehende Mütter hätten es eben schwer, und wenn Carol sich ihr gegenüber manchmal seltsam benehme, dann geschehe das
vermutlich nur aus verletztem Stolz.
Für Seth Paulsen, der öfter von Patty redete,
als es seiner Frau lieb war, gehörten die Berglunds zu jener Sorte
hyperschuldbewusster Liberaler, die allen anderen verzeihen mussten, damit
ihnen ihr eigenes Glück verziehen werden konnte; denen der Mut fehlte, zu ihrem
privilegierten Leben auch zu stehen. Seths Theorie hatte allerdings einen
Haken, denn die Berglunds waren gar nicht so privilegiert; soweit man wusste,
war ihr einziger Vermögenswert das Haus, das sie eigenhändig restauriert
hatten. Ein weiterer Haken, wie Merrie Paulsen betonte,
war der, dass Patty nicht
sonderlich progressiv,
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