Franzen, Jonathan
Die
Nachbarn, die ihm manchmal Jobs gaben, kannten ihn als erstaunlich eifrigen
Schneeschaufler oder Laubharker, aber Patty sagte, er ärgere sich insgeheim
über die schlechte Bezahlung und finde, die Einfahrt eines Erwachsenen frei zu
schaufeln bringe ihn diesem Erwachsenen gegenüber in eine missliche Position.
Die lächerlichen Ideen zum Geldverdienen, die in Pfadfindermagazinen
vorgeschlagen wurden - Zeitschriftenabonnements an der Haustür verkaufen,
Zaubertricks erlernen und dann für die Darbietungen Eintritt nehmen, sich mit
Taxidermie-Utensilien ausrüsten und die preisgekrönten Glasaugenbarsche der
Nachbarn ausstopfen -, rochen allesamt entweder nach Vasallentum («Ich bin der
Taxidermist der herrschenden Klasse») oder, schlimmer noch, nach Wohltätigkeit.
Und so zog es ihn in seinem Bestreben, sich von Walter zu befreien, unweigerlich
zum Unternehmertum.
Irgendjemand,
vielleicht sogar Carol Monaghan
selbst, zahlte die Gebühren für Connies kleine
katholische Privatschule, St. Catherine's, auf der die Mädchen Uniformen
trugen und außer einem Ring («schlicht, nur Metall»), einer Armbanduhr
(«schlicht, keine Steine») und zwei Ohrringen («schlicht, nur Metall, höchstens
ein Zentimeter im Durchmesser») kein Schmuck erlaubt war. Da traf es sich gut,
dass eine der umschwärmten Neuntklässlerinnen aus Joeys Schule, der Central High, von einem Familienausflug nach New York mit
einer in der großen Pause weithin bewunderten billigen Uhr zurückgekommen war,
in deren gelbes Armband, das aussah, als ob man es kauen könnte, ein
Canal-Street-Händler im Thermoverfahren kleine bonbonrosa Plastikbuchstaben
eingeprägt hatte, die eine Pearl-Jam-Songtextzeile ergaben, don't call me daughter, so hatte das
Mädchen es gewünscht. Wie Joey in seinen
Bewerbungsessays fürs College später selbst berichten sollte, hatte er sofort
die Initiative ergriffen und die Großhandelsquelle dieser Uhr sowie den Preis
eines Thermodruckers ausfindig gemacht. Er steckte vierhundert Dollar von
seinen eigenen Ersparnissen in die Ausrüstung und stellte ein
Musterplastikarmband für Connie her ( ready for the push stand darauf),
damit sie es in ihrer Schule herumzeigen konnte, und dann verkaufte er, mit Connie als Kurier, individuell gestaltete Armbanduhren zu dreißig Dollar das
Stück an nicht weniger als ein Viertel ihrer Mitschülerinnen, bevor die Nonnen
es spitzkriegten und die Kleidervorschriften um das Verbot von Uhrenarmbändern
mit eingeprägtem Text ergänzten. Was Joey natürlich
- erzählte Patty den anderen Müttern - für einen Skandal hielt.
«Es ist kein
Skandal», sagte Walter zu ihm. «Du hast von einer künstlichen
Handelsbeschränkung profitiert. Ich kann mich nicht erinnern, dass du dich über
die Regeln beklagt hättest, solange sie für dich von Vorteil waren.»
«Ich habe
Geld investiert. Ich bin ein Risiko eingegangen.»
«Du hast
ein Schlupfloch ausgenutzt, und das haben sie jetzt gestopft. Hättest du das
nicht vorhersehen können?»
«Na ja,
warum hast du mich nicht gewarnt?»
«Das habe
ich doch.»
«Du hast
bloß gesagt, ich könnte Geld verlieren.»
«Na bitte,
und das ist noch nicht einmal passiert. Du hast nur nicht so viel verdient, wie
du gehofft hattest.»
«Das Geld
stand mir aber zu.»
«Joey,
Geld zu verdienen ist kein Recht. Du
verkaufst irgendwelchen Schrott, den diese Mädchen gar nicht brauchen und manche
sich wahrscheinlich nicht mal leisten können. Das ist genau der Grund, warum es
an Connies Schule Kleidervorschriften gibt -
damit es für alle fair zugeht.»
«Genau -
außer für mich.»
Aus der
Art, wie Patty dieses Gespräch schilderte und sich über Joeys naive Empörung lustig machte, folgerte Merrie Paulsen, dass sie immer noch keinen Schimmer hatte, was ihr Sohn mit Connie Monaghan trieb. Um ganz sicherzugehen, bohrte sie ein bisschen nach.
Was habe Connie wohl für
ihren Einsatz bekommen? Ob sie auf Provisionsbasis gearbeitet habe?
«Oh, na
klar, wir haben ihm gesagt, dass er ihr die Hälfte seiner Gewinne abgeben
muss», antwortete Patty. «Aber das hätte er sowieso getan. Er war ihr
gegenüber ja schon immer ganz fürsorglich, obwohl er jünger ist als sie.»
«Er ist
also wie ein Bruder zu ihr ...»
«Nein, das
eher nicht», scherzte Patty. «Viel netter. Du kannst ja Jessica mal fragen, wie
es ist, seine Schwester zu sein.»
«Ha,
genau, haha», sagte Merrie.
Seth
berichtete sie ein paar Stunden später: «Es ist unglaublich, sie hat wirklich
keine
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