Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
Vom Netzwerk:
Herkunft einen
beschuldigte, man mache ihr Wohnviertel kaputt? War es wahr, dass die Glasur
von altem Fiesta-Porzellan gefährliche Mengen Blei enthielt? Wie raffiniert
musste ein Küchenwasserfilter eigentlich sein? Wechselten auch andere 240er
manchmal nicht in den fünften Gang, obwohl man den Overdrive-Schalter betätigt
hatte? Sollte man Bettlern Essen geben oder besser gar nichts? War es möglich,
beispiellos selbstbewusste, glückliche, hochintelligente Kinder großzuziehen,
wenn man ganztags arbeitete? Durfte man die Bohnen für den Morgenkaffee schon
am Abend vorher mahlen, oder musste das unmittelbar vor dem Frühstück
geschehen? Hatte in der Geschichte St. Pauls schon mal irgendjemand gute
Erfahrungen mit einem Dachdecker gemacht? Wie sah es mit einem sachkundigen
Volvo-Mechaniker aus? Hatten auch andere 240er das Problem mit dem klemmenden
Handbremsseil? Und dieser rätselhaft gekennzeichnete Schalter am
Armaturenbrett, der so ein wohliges schwedisches Klicken erzeugte, aber mit
nichts verbunden zu sein schien: Wozu diente der?
    Patty Berglund war für alle Fragen ein reicher Quell, ein sonniger
Überträger von soziokulturellem Pollen, eine freundliche Biene. Sie war eine
der wenigen nicht-berufstätigen Mütter in Ramsey Hill und notorisch abgeneigt, gut von sich selbst oder schlecht von
anderen zu sprechen. Sie sagte, sie gehe davon aus, eines Tages von einem der
Schiebefenster «geköpft» zu werden, deren Gewichtsschnüre sie selber
ausgewechselt habe. Ihre Kinder würden «wahrscheinlich» an Trichinose sterben,
weil sie Schweinefleisch nicht immer lange genug brate. Sie fragte sich, ob
ihre «Abhängigkeit» von Abbeizmitteldämpfen wohl damit in Zusammenhang stehe,
dass sie «überhaupt keine» Bücher mehr lese. Sie gestand, seit dem, was beim
«letzten Mal» passiert sei, habe Walter ihr «strikt verboten», seine Blumen zu
düngen. Es gab Leute, bei denen diese Art der Selbstherabsetzung nicht gut
ankam - die etwas Gönnerhaftes darin sahen, als versuchte Patty die Gefühle weniger vollkommener
Hausfrauen allzu offensichtlich zu schonen, indem sie ihre eigenen kleinen
Unzulänglichkeiten überzeichnete. Die meisten aber hielten ihre Bescheidenheit
für echt oder fanden sie zumindest amüsant, und ohnehin war es schwierig, einer
Frau zu widerstehen, die von allen Kindern so sehr gemocht wurde und sich nicht
nur deren Geburtstage, sondern auch die der Erwachsenen merkte und mit einem
Teller Kekse, einer Glückwunschkarte oder ein paar Maiglöckchen an der
Terrassentür erschien, nicht ohne zu beteuern, die kleine Vase aus dem
Gebrauchtwarenladen, in der die Maiglöckchen steckten, brauche man ihr nicht
zurückzugeben.
    Jeder
wusste, dass Patty an der
Ostküste, in einem Vorort von New York, aufgewachsen war und eines der ersten
Vollstipendien für Frauen bekommen hatte, um an der University
of Minnesota Basketball zu spielen, wo sie es, das ging aus
einer Urkundentafel an der Wand von Walters Arbeitszimmer hervor, in ihrem
zweiten Studienjahr in das virtuelle Team der zweitbesten Spielerinnen ganz
Amerikas geschafft hatte. Merkwürdigerweise hatte Patty, der Familienmensch, keinerlei erkennbare Verbindung zu ihren Wurzeln.
Ganze Jahreszeiten verstrichen, ohne dass sie einen Fuß aus St. Paul
herausgesetzt hätte, und Besuch von der Ostküste schien sie auch noch nie
empfangen zu haben, nicht einmal von ihren Eltern. Wenn man sie geradeheraus
nach den Eltern fragte, antwortete sie, die beiden täten sehr vielen Menschen
sehr viel Gutes, ihr Vater habe eine Anwaltskanzlei in White Plains, und ihre Mutter sei Politikerin, genau, Abgeordnete in der
Parlamentskammer des Staates New York. Dann nickte sie mit großem Nachdruck und
sagte: «Ja, genau, so ist das», als wäre das Thema damit erschöpft.
    Man konnte
sich einen Jux aus dem Versuch machen, Patty dazu zu
bewegen, dass sie einem beipflichtete, wenn man jemandes Benehmen als
«schlecht» bezeichnete. Als sie hörte, dass Seth und Merrie Paulsen eine große Halloween-Party für ihre Zwillinge gaben und ganz bewusst
alle Kinder aus der Nachbarschaft außer Connie Monaghan
dazu eingeladen hatten, sagte sie nur, das sei ja «seltsam». Die Paulsens, die
sie kurze Zeit später auf der Straße traf, erklärten ihr, sie hätten den ganzen
Sommer lang vergeblich versucht, Connie Monaghans Mutter Carol davon
abzubringen, Zigarettenkippen aus ihrem Schlafzimmerfenster in das kleine
Planschbecken der Zwillinge zu schnippen. «Wirklich seltsam», sagte

Weitere Kostenlose Bücher