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Franzen, Jonathan

Franzen, Jonathan

Titel: Franzen, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Freihheit
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alten gemeinsamen Steuererklärungen, die
alten gemeinsamen Kontoauszüge und sein nie geändertes Testament aufbewahrte.
Keine drei Wochen später kam ein luftgepolsterter Umschlag im CD-Format, als
dessen Absender K atz und eine Adresse in Jersey City angegeben waren, und auch
den steckte er ungeöffnet in die Schublade. Mit diesen beiden Sendungen, aber
auch durch die Zeitungsschlagzeilen, an denen er nicht vorbeisehen konnte,
wenn er in Fen City
einkaufen ging - neue Desaster im In- und Ausland, neue, Lügen verbreitende
rechte Spinner, neue ökologische Katastrophen, die im globalen Endspiel ihren
Lauf nahmen -, rückte ihm die Außenwelt immer mehr auf den Leib und forderte
seine Aufmerksamkeit, aber solange er draußen in der Natur für sich blieb,
konnte er seiner Verweigerungshaltung treu bleiben. Er stammte von einer
langen Reihe von Verweigerern ab, das Zeug dazu hatte er. Von Lalitha schien
fast nichts mehr übrig zu sein; sie zerfiel in ihm, wie tote Singvögel in der
Wildnis zerfallen - ohnehin unfassbar leicht, waren sie, sobald ihre kleinen
Herzen aufhörten zu schlagen, kaum mehr als winzige Häufchen Flaum und hohle
Knochen, die der Wind mir nichts, dir nichts verstreut -, doch das führte nur
dazu, dass Walter mit noch größerer Entschlossenheit an dem wenigen festhielt,
was ihm von ihr geblieben war.
    Weshalb er
auch an dem Oktobermorgen, als die Außenwelt am Ende wirklich zu ihm kam, und
zwar in Gestalt einer neuen Hyundai-Limousine, die in der zugewucherten
Ausbuchtung, in der Mitch und Brenda früher ihr Boot abgestellt hatten, auf
halber Strecke zwischen Straße und Haus auf seiner Einfahrt stand, nicht
anhielt und nachsah, wer darin saß. Er hatte es eilig, weil er zu einer
Sitzung der Nature Conservancy in Duluth
musste, und bremste nur gerade stark genug ab, um erkennen zu können, dass die
Lehne des Fahrersitzes zurückgeklappt war; vielleicht schlief der Fahrer ja. Er
hatte Grund zu der Hoffnung, dass das Auto bei seiner Rückkehr fort sein würde,
denn warum hatte sein Insasse, wer auch immer es sein mochte, sonst nicht an
seine Tür geklopft? Aber als Walter abends um acht von der Landstraße auf sein
Grundstück einbog, leuchteten im Licht seiner Scheinwerfer die Plastikreflektoren
an den Rücklichtern des fremden Wagens auf, er stand also noch da.
    Walter stieg
aus, spähte durch die Fenster und sah, dass der Wagen leer war, die Lehne des
Fahrersitzes befand sich wieder in einer aufrechten Position. Es war kalt unter
den Bäumen; kein Luftzug ging, es roch nach Schnee; das einzige Geräusch war
ein leises menschliches Gemurmel aus der Richtung der Canterbridge-Siedlung.
Er stieg wieder in sein Auto und fuhr weiter bis zum Haus, wo eine Frau, Patty,
im Dunkeln auf der Stufe vor der Eingangstür saß. Sie trug Jeans und eine dünne
Cordjacke. Um sich warm zu halten, hatte sie die Beine an die Brust gezogen,
das Kinn lag auf den Knien.
    Er
schaltete den Motor ab, und eine ziemlich lange Weile, vielleicht zwanzig oder
dreißig Minuten, wartete er darauf, dass sie aufstehen und etwas zu ihm sagen
würde, falls das der Grund sein sollte, warum sie hergekommen war. Aber sie
rührte sich nicht, und schließlich nahm er all seinen Mut zusammen und ging zum
Haus. Vor der Türschwelle hielt er kurz inne, nicht mehr als dreißig Zentimeter
von ihr entfernt, um ihr die Chance zu geben, etwas zu sagen. Doch ihr Kopf
blieb vorgebeugt. Seine eigene Weigerung, sie anzusprechen, war derart
kindisch, dass er lächeln musste. Aber dieses Lächeln kam einem gefährlichen
Eingeständnis gleich, also erstickte er es mit Gewalt, stählte sich und betrat
dann das Haus und schloss hinter sich die Tür.
    Seine
Kraft war allerdings nicht grenzenlos. Er konnte nicht anders, als im Dunkeln,
nahe der Tür, noch einmal eine lange Weile zu warten, vielleicht eine Stunde,
und genauestens darauf zu horchen, ob sie sich bewegte, genauestens
aufzupassen, dass er nicht das leiseste Klopfen an der Tür überhörte. Was er
stattdessen, in seiner Einbildung, vernahm, war Jessicas Stimme, die ihm sagte,
er müsse fair sein: Er schulde seiner Frau zumindest die Freundlichkeit, ihr
zu sagen, dass sie verschwinden solle. Aber nach sechs Jahren Schweigen schien
ihm, als würde ein einziges Wort von ihm alles zurücknehmen - seine ganze
Verweigerung ungeschehen machen und alles widerlegen, was er damit hatte zum
Ausdruck bringen wollen.
    Schließlich,
als erwachte er aus einem im Halbschlaf geträumten Traum, knipste er ein

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