Franziskus - Zeichen der Hoffnung: Das Erbe Benedikts XVI. und die Schicksalswahl des neuen Papstes (German Edition)
wird die Grundlage für das Pontifikat von Franziskus bilden.
Das 300-Seiten-Dossier, das Ende Februar 2013, kurz vor Beginn des Konklaves, dem Papst vorgelegt wird, enthält so viel Sprengstoff, dass Benedikt XVI . beschließt, die Ergebnisse an seinen Nachfolger weiterzureichen. Es ist auch ein schmerzliches Eingeständnis einer Niederlage. Die Art und Weise, wie Benedikt XVI . das Amt des Papstes verstanden und ausgeübt hatte, als ein extrem schwacher Papst gegenüber der Kurie, hatte sich nicht bewährt. Mit geradezu prophetischer Kraft hatte Joseph Ratzinger am Karfreitag des Jahres 2005, als sein Vorgänger Johannes Paul II . bereits mit dem Tod rang, im Kolosseum vorhergesagt, was dessen Nachfolger würde leisten müssen: den Schmutz aus der Kirche kehren.
Damals hatten sich alle Beobachter gewundert, dass Joseph Ratzinger, der den todkranken Papst an diesem Abend im Kolosseum vertreten musste, so starke Worte gebrauchte. Dass Ratzinger wusste, wovon er sprach, darüber gibt es nicht den geringsten Zweifel. Als Chef der Glaubenskongregation war er zuständig für alle schweren Vergehen von Priestern, so auch die Fälle sexuellen Missbrauchs. Als er dann am 16. April 2005 überraschend zum Papst gewählt wurde, glaubten viele in der Kurie, dass er jetzt ernst machen und den Schmutz, den er selber so angeprangert hatte, tatkräftig auskehren würde.
Aber es sollte ihm nicht gelingen. Seine Niederlage räumt er am 11. Oktober 2012 ein, ausgerechnet vor den jungen Menschen der Katholischen Aktion Italiens, die zu einem Fackelzug gekommen waren, ausgerechnet am legendären Fenster der Päpste, hoch über dem Petersplatz, als er sagt: »An diesem Tag vor 50 Jahren war auch ich hier auf dem Platz, mit dem Blick auf dieses Fenster gerichtet, wo der ›gute Papst‹, der selige Papst Johannes XXIII ., mit unvergesslichen Worten zu uns gesprochen hat – Worten voller Poesie, voller Güte, Worten, die aus dem Herzen kamen. Wir waren glücklich, würde ich sagen – und voller Begeisterung. In diesen 50 Jahren haben wir gelernt und erfahren, dass die Erbsünde existiert und immer wieder in persönlichen Sünden zum Ausdruck kommt, die auch zu Strukturen der Sünde werden können. Wir haben gesehen, dass auf dem Acker des Herrn immer auch Unkraut ist. Wir haben gesehen, dass sich im Netz des Petrus auch schlechte Fische befinden. Wir haben gesehen, dass die menschliche Schwäche auch in der Kirche vorhanden ist, dass das Schiff der Kirche auch im Gegenwind fährt, in Stürmen, die das Schiff bedrohen, und zuweilen haben wir gedacht: ›Der Herr schläft und hat uns vergessen.‹«
Wie groß muss die Einsamkeit von Papst Benedikt XVI . gewesen sein, wenn er zu so einem vernichtenden Urteil kommen musste! Er hat eine schwere Niederlage erlitten, weil die drei Ermittler-Kardinäle schlicht nicht das herausfanden, was er erhofft hatte. Der Papst aus Bayern hatte geglaubt, dass der Diebstahl seines Kammerdieners Paolo Gabriele eine schwer nachzuvollziehende Einzelaktion gewesen sei und dass der ganze Rest der Kirchenregierung, der Kurie, fest und treu und vor allem mit weißer Weste hinter ihm stünde. Aber dem war nicht so. Die Grundlage für das Pontifikat von Franziskus war somit bereitet.
Der Fall Gabriele und die Folgen
Ich habe Paolo Gabriele immer geschätzt, und ich gebe zu, dass ich mir nie hätte vorstellen können, dass er ein Spion ist. Ich hätte auf eine solche Frage wohl geantwortet: auf keinen Fall. Mehr noch, ich hätte Paolo, Spitzname Paoletto, immer als ein leuchtendes Beispiel von Treue und Ergebenheit gegenüber der Kirche und dem Papst geschildert. Meine positive Einschätzung war zunächst einmal der schlichten Tatsache geschuldet, dass Paolo Gabriele mich überhaupt wahrnahm. Sein Vorgänger Angelo Gugel besaß ein ähnliches Gemüt wie der legendäre Polizeichef des Papstes, Camillo Cibin. Über Gugel und Cibin sagte man gleichermaßen, dass sie von so absoluter, totaler, geradezu peinlicher Verschwiegenheit seien, dass sie niemals auf eine Frage antworten würden, nicht einmal auf einen Gruß, Wenn man Cibin oder Gugel mit »Buongiorno, come va?« grüßte (»Guten Tag, wie geht’s?«), dann senkten sie indigniert ob der Indiskretion dieser Frage den Kopf und stampften schweigend davon. Ich habe Gugel unzählige Male Erinnerungsmedaillen an Teilnehmer der Audienzen verteilen sehen und stundenlang mit ihm auf dem Gang vor der Bibliothek des Papstes herumgestanden, aber unsere Konversation ging
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